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Bis zum Ende der Welt

Bis zum Ende der Welt

Titel: Bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Zähringer
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hier. Ab und zu sah sie die Steilküste hinauf zu den weißen Bungalows.
    Der Hotelmanager kam und fragte, ob es das jetzt gewesen sei und der Strand wieder freigegeben werde.
    «Wir brauchen eine Gästeliste», sagte Cabral.
    «Ist das denn erlaubt?»
    «Wir müssen feststellen, ob jemand fehlt. Sie wollen doch auch, dass Ihre Gäste wieder an den Strand können.»
    Wenig später, im Büro des Hotelmanagers, gingen wir die Liste durch. Aber so, wie es aussah, fehlte niemand.
    «Die Frau», sagte ich zu Cabral, als wir auf dem Weg zurück zum Wagen waren, «im rosa Top.»
    «Ja», antwortete er, «die kommt aus Castrop-Rauxel. Kennst du das?»
    «Nein.»
    «Stammgast. Ist jedes Jahr vier Wochen hier.»
    «Allein.»
    «Allein», bestätigte Cabral.
    Ich warf die Tüte hinten auf den Rücksitz, setzte mich hinter das Steuer, und wir fuhren los.
     
     
    Die Tage unseres Postens sind gezählt. Das alte, weiß getünchte, einstöckige Haus mit seinem Eingangsportal, das zwei steinerne Meeresgötter samt Dreizack und Netz verzieren, werden sie wohl stehen lassen. Gebaut in den ersten Jahren nach dem großen Erdbeben von Lissabon, in dessen Folge ein Tsunami den Ort Sagres weggespült hatte, steht es unter Denkmalschutz und darf nicht einfach abgerissen werden. Angeblich hat das Fremdenverkehrsamt schon eine neue Verwendung dafür. Vielleicht machen sie einen Souvenirladen da hinein. Oder einen Golfshop.
    «Westlichste Polizeistation Europas» steht auf einer kleinen Metallplatte rechts von der Eingangstür, was, wie Cabral immer wieder betont, gar nicht stimmen kann.
    «Haben die auf Island vielleicht keine Polizei? Oder auf Madeira?» Allenfalls, so sagt er, sei es die «südwestlichste Polizeistation auf dem europäischen Festland», was freilich nicht nur eine lange, sondern auch langweilige Bezeichnung sei. Besser wäre es gewesen, man hätte auf das Schild gleich «Der Posten am Ende der Welt» geschrieben.
    Nach uns kommt nichts mehr. Oder zumindest nicht mehr sehr viel. Die Straße, die an unserem Posten vorbeiführt, endet nach sechs Kilometern vor dem Leuchtturm des Kap São Vicente am Atlantik. Einige tausend Kilometer weiter westlich liegt Amerika.
    «Und Afrika?», sagt Cabral. «Bis nach Casablanca im Süden sind es nur drei-, vierhundert Kilometer.»
    Ich glaube, keiner der Touristenführer, die in den Touristenbussen sitzen, die tagtäglich an unserer Polizeistation vorbeifahren, erzählt den Touristen viel von Afrika, wenn sie am Aussichtspunkt über der tosenden Brandung stehen. Sie erzählen von New York, von Heinrich dem Seefahrer, von Columbus, von den frühen Entdeckern, deren Schiffe dieses letzte, felsige Stück Heimat einst passiert hatten, bevor es am Horizont hinter ihnen verschwand und vor ihnen nur noch der unbekannte Ozean lag, von dem die Alten dachten, dass in seinen Tiefen gefräßige Ungeheuer hausen und sich an dessen Rand das Wasser in den Abgrund der Hölle ergießt.
    Wir sind zu viert – Cabral, die dicke Eufemia, Da Silva, den alle Tritão (den Molch) nennen, und ich.
    Eufemia hat die Figur einer bulgarischen Diskuswerferin, ihr feines, ja hübsches Gesicht bleibt, während sie im Dienst ist, unter dem Helm und hinter der dunklen, amerikanischen Pilotenbrille verborgen. Oft ist sie auf der Landstraße mit ihrem Motorrad unterwegs, um von den Touristen Bußgelder zu kassieren. Zu ihren bevorzugten Opfern zählen ältere Herren in Cabrios.
    Mit Vergnügen malen Cabral und ich uns aus, wie Eufemia einen dieser eben noch fröhlichen grauhaarigen Männer anhält, vor ihm ihr Motorrad quer stellt, absteigt und dann langsam, mit ruhigem Schritt, eine Hand auf dem Pistolenhalfter, die andere wie einen Hammer neben sich schwingend, auf ihre Beute zugeht. Im Gegensatz zu Cabral spricht sie kein Englisch, hat aber für das Eintreiben der Bußgelder ein paar Wortgruppen auswendig gelernt: «Too fast» lautet eine, «now you will pay» eine andere.
    Tritão verlässt den Posten so gut wie nie. Er sitzt vorne, gleich hinter dem Eingang und der Theke, an seinem Tisch, über eine uralte, von ihm jedoch sorgsam gepflegte IBM - PC -Tastatur gebeugt, die genauso wie er wenig Sonnenlicht gesehen hat, sodass ihr Gehäuse von einem hellen, klaren, in keiner Weise nachgedunkelten oder vergilbten Grau ist. Manchmal, im Sommer, wenn man aus dem gleißenden Mittagslicht in das schattige Innere des Hauses tritt, kann man Tritão in der Dunkelheit nicht gleich erkennen, aber man hört das unablässige Klappern

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