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Bis zum Horizont

Bis zum Horizont

Titel: Bis zum Horizont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Paul Evans
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sein?«
    »Ich denke schon, Kneifer. Was hältst du davon, bis morgen zu bleiben?«
    »Dann wirst du morgen wieder dasselbe sagen.«
    »Das ist die Magie des Morgen. Es kommt nie.«
    Ich setzte mich, und Nicole nahm mir gegenüber Platz. »Wie willst du heute gehen?«
    »Ich wollte es eigentlich bis Cœur d’Alene schaffen, aber vermutlich werde ich nur bis knapp über die Grenze nach Idaho kommen.«
    Sie nahm sich ein Stück Speck und biss hinein. »Was für ein Abenteuer.«
    Als ich sie ansah, wurde mir bewusst, dass wir fast fünf Monate zusammen verbracht hatten. Es war kaum vorstellbar, dass sie nicht mehr jeden Tag da sein würde. Bei dem Gedanken wurde mir schwer ums Herz. In schwierigen Zeiten entstehen einzigartige Beziehungen, und wir waren mehr als Freunde geworden. Sie war die Schwester, die ich nie gehabt hatte.
    Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Du hast keine Ahnung, wie sehr ich dich vermissen werde«, sagte sie leise.
    Nach dem Frühstück duschte und rasierte ich mich. Ich wusste das warme Wasser zu schätzen, da ich bald keines mehr haben würde. Danach ging ich in mein Zimmer und überprüfte ein letztes Mal den Inhalt meines Rucksacks. Als ich fertig war, setzte ich meinen Akubra-Hut auf und trug meinen Rucksack ins Wohnzimmer. »Es ist Zeit«, sagte ich.
    Nicole kam aus ihrem Schlafzimmer. Ihre Augen waren gerötet und verquollen. Sie nahm meine Hand, und wir gingen zusammen hinaus. An der Haustür blieben wir stehen. »Ich gehe besser nicht mit auf die Straße«, sagte sie, »sonst würde ich dir vermutlich nur nachlaufen.«
    Ich lehnte meinen Rucksack gegen die Wand und nahm ihre Hände in meine. Wir wussten beide nicht recht, was wir sagen sollten. Ich sah ihr in die Augen. »Und? Bist du mittlerweile eigentlich dahintergekommen, warum du mir geholfen hast?«
    »Vielleicht bin ich einfach die Art Mädchen, die streunende Welpen rettet.«
    Ich drückte ihre Hände.
    Nicole sagte: »Mir ist bewusst geworden, dass ich im Leben immer dann am glücklichsten war, wenn ich mich um jemanden gekümmert habe – um meinen Aiden, um dich, dann um Bill. Es wird mir fehlen, jemanden zu haben, um den ich mich kümmern kann.«
    »Ich habe das Gefühl, das wird nicht lange so bleiben.«
    »Warum sagst du das?«
    »Die Welt ist voller streunender Welpen.«
    Sie lächelte traurig. »Hast du deinen Sankt Christophorus?«
    »Ja.« Ich zog das Kettchen unter meinem Hemd hervor.
    Einen Moment lang blickten wir uns nur in die Augen, dann schlang sie auf einmal die Arme um mich und vergrub den Kopf an meiner Brust. Sie begann wieder zu weinen. »Wirst du mich anrufen, wenn du nach Key West kommst?«
    »Auf jeden Fall.«
    Sie blickte hoch und sah mir in die Augen. »Bitte vergiss mich nicht.«
    Ich wischte eine Träne von ihrer Wange. »Wie könnte ich das?«
    »Wärst du sauer auf mich, wenn ich dich ab und zu anrufe? Ich verspreche dir, ich werde dich nicht ständig belästigen.«
    »Ruf mich an, wenn du irgendetwas brauchst. Und vergiss nicht, dir von meinem Dad helfen zu lassen.«
    Sie sah mich noch immer an, während ihr die Tränen übers Gesicht liefen.
    Ich küsste sie auf die Stirn, dann vergrub sie wieder den Kopf an meiner Brust. »Was hätte ich ohne dich nur getan?«
    Ich hielt sie nur schweigend. Es war nicht so, dass es nichts zu sagen gab. Es war eher so, dass es zu viel zu sagen gab und Worte ein schlechter Ersatz für unsere Gefühle waren. Es dauerte vielleicht zehn Minuten, bevor sie seufzend einen Schritt zurücktrat. »Ich lasse dich jetzt gehen«, sagte sie leise.
    Ich schnappte mir meinen Rucksack und schwang ihn mir über die Schultern. Nicole stand mit verschränkten Armen da, während sie sich von Zeit zu Zeit eine Träne von der Wange wischte.
    Ich holte einmal tief Luft. »Wir sehen uns«, sagte ich.
    »Wir sehen uns«, wiederholte sie meine Worte.
    Ich verließ das Haus und war wieder allein.

Sechsunddreißigstes Kapitel
    Gestern Nacht traf mich die Realität meines bevorstehenden Aufbruchs mit voller Wucht. Meine ehemaligen Gefährten – Einsamkeit und Verzweiflung – hatten die ganze Zeit geduldig vor Nicoles Haus gewartet. Sie hatten darauf gewartet, mich allein abzupassen. Sie hatten darauf gewartet, unseren Weg fortzusetzen.
    Alan Christoffersens Tagebuch
    Im Ansturm der emotionalen Herausforderungen meines Aufbruchs hatte ich die körperlichen völlig vernachlässigt. Ich verließ die Behaglichkeit von Nicoles Zuhause, um mich wieder der Anstrengung, Eintönigkeit und

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