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Bis zum Horizont

Bis zum Horizont

Titel: Bis zum Horizont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Paul Evans
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Golfplatzes auf.
    »Spielen Sie Golf?«, fragte Kailamai.
    »Früher schon«, sagte ich, während ich meinen Schlafsack ausrollte.
    »Ein Mann geht mit seinen Kumpeln Golf spielen. Er will eben putten, als ein Leichenwagen vorbeikommt, dem eine Trauerprozession folgt. Der Mann stellt seinen Schläger hin, nimmt den Hut ab und hält ihn über sein Herz, bis der Trauerzug vorbei ist. ›Das war das Anständigste, was ich dich je habe tun sehen‹, sagt einer seiner Freunde. ›Das ist das Mindeste, was ich tun konnte‹, erwidert er. ›Schließlich waren wir zweiunddreißig Jahre verheiratet.‹«

Vierundvierzigstes Kapitel
    Heute habe ich Kailamais Geschichte erfahren. Es ist fast ebenso schwer zu glauben, dass jemand nach so vielen Schicksalsschlägen noch so viel Hoffnung haben kann, wie zu glauben, dass es Leute gibt, mit denen es das Schicksal so gut gemeint hat und die doch so viel Hoffnungslosigkeit ausstrahlen.
    Alan Christoffersens Tagebuch
    Am nächsten Morgen verlief der Fluss, der uns auf unserem Weg immer wieder für eine Weile begleitet hatte, wieder neben uns. Ich weiß nicht, warum mir das Rauschen des Flusses ein solches Gefühl von Frieden gab, aber nur wenige Dinge sind so beruhigend wie das Geräusch von plätscherndem Wasser. Ich habe einmal gehört, es hätte irgendetwas mit unserer Erfahrung im Mutterleib zu tun.
    Vielleicht war das einer der Gründe, weshalb Kailamai mir ausgerechnet hier, an jenem öden Highway-Abschnitt, schließlich ihre Geschichte erzählte. Wir waren schon eine Zeit lang schweigend unterwegs, als sie plötzlich sagte: »Sie haben mir noch gar nichts von Ihrer Mutter erzählt.«
    »Sie starb, als ich acht war.«
    »Können Sie sich noch daran erinnern, wie sie war?«
    »Sie war wunderbar«, sagte ich. »Sie war der freundlichste Mensch, den ich je gekannt habe. Einmal habe ich gesehen, wie sie einem Typen Geld gegeben hat, der auf der Straße gebettelt hat. Mein Dad war deshalb stocksauer. Er sagte: ›Du weißt doch, dass er sich davon nur Alkohol kaufen wird.‹ Meine Mutter sagte: ›Vielleicht ist es das, was er im Augenblick am dringendsten braucht.‹ Wenn die Welt mit Leuten wie ihr bevölkert wäre, dann gäbe es keine Kriege und keinen Mangel.« Ich legte die Stirn in Falten. »Ich vermisse sie. Nach all den Jahren vermisse ich sie noch immer.«
    »Ich wünschte, ich hätte eine solche Mutter gehabt«, sagte Kailamai. Sie ließ den Kopf hängen, und wir gingen wieder schweigend weiter. Dann fragte sie: »Wollen Sie wissen, warum ich in Pflege gegeben wurde?«
    »Wenn du es mir erzählen willst.«
    »Es ist eine lange Geschichte.«
    »Wir haben einen langen Weg vor uns«, sagte ich.
    »Okay.« Sie holte einmal tief Luft. »Meine Mutter war das Gegenteil von Ihrer. Sie war richtig gewalttätig. Und nicht nur sie – meine ältere Schwester war genauso. Als Kind dachte ich, verprügelt zu werden, gehört einfach zum Leben. Meine Schwester hat mich fast jeden Tag geprügelt, und meine Mutter hat mich mindestens einmal die Woche grün und blau geschlagen. Einmal hat sie mich so schlimm verprügelt, dass ich über eine Stunde gebraucht habe, um auch nur in mein Zimmer zurückzukriechen.«
    Jetzt verstand ich, warum es ihr nicht leidtat, dass ihre Mutter tot war. »Was war denn los mit den beiden, dass sie dachten, sie könnten dich verprügeln?«, fragte ich.
    »Ich weiß nicht.« Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht. »Vermutlich taten sie es nur, weil sie es konnten. Ich war kleiner als sie, und sie waren einfach gemein. Sie haben nie ›Entschuldigung‹ oder so gesagt, sie haben mich einfach aus dem Weg geschubst oder an den Haaren gezogen. Erst in der vierten Klasse begriff ich, dass nicht jeder so ein Zuhause hatte wie ich. Ich konnte gar nicht glauben, dass manche meiner Klassenkameraden ihre Eltern tatsächlich mochten.«
    »Das ist wirklich unglaublich traurig«, sagte ich.
    »Meine Mom war Alkoholikerin. Sie lebte von Sozialhilfe und Lebensmittelmarken und dem, was Männer ihr gaben. Als ich älter wurde, wurden die Männer, die meine Mutter mit nach Hause brachte, auf mich aufmerksam. Alle paar Monate fiel einer von ihnen über mich her. Ich wusste, dass meine Mutter wusste, was sie taten, aber sie tat einfach, als sei nichts dabei. Dann heiratete meine Mutter einen von ihnen, und er zog bei uns ein. Kurt«, sagte sie. Ihr Mund zuckte leicht, als sie seinen Namen sagte.
    »Kurt war methadonabhängig, und er hat meine Mom und meine Schwester auch abhängig

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