Bis zum Horizont
Streifenwagens.«
»Das muss furchtbar gewesen sein«, sagte ich.
»Das war es auch. Ich meine, der Polizist war nett und alles. Er fragte mich, welchen Radiosender ich hören wollte. Aber ich hatte noch immer schreckliche Angst. Ich dachte, ich würde ins Gefängnis kommen. Stattdessen fuhr er mit mir hoch in die Berge. Dort warteten zwei andere Wagen. Eine große, rothaarige Frau stieg aus einem der Wagen. Sie war meine Fallbetreuerin. Aus dem anderen Wagen stiegen eine Frau und ihre Tochter: Lois und Mabel Thompson. Sie waren meine erste Pflegefamilie. Ich war ungefähr ihr zwanzigstes Kind, daher wussten sie, was auf sie zukam. Sie waren richtig nett.
Nach eineinhalb Jahren schickte mich der Staat zurück zu meiner Mom. Die Gerichte zwangen sie, Kurse zu besuchen, wie man eine anständige Mutter ist, und sie war zuckersüß, als sie mich zu ihr zurückbrachten. Das hielt sie ungefähr zwei Stunden durch, dann war sie wieder ganz die Alte. Kurz bevor ich zu Bett ging, schlug sie mich auf den Kopf und sagte, dass sie meinetwegen allen möglichen Ärger bekommen hätte und dass ich dafür büßen würde.
Am nächsten Tag schleifte mich ihr Mann in die Garage und zwang mich, meine Hose auszuziehen. Dann peitschte er mich mit seinem Gürtel aus. Ein Nachbar hörte mich schreien und rief die Polizei. Sie kam sofort und holte mich ab. Ich wurde in dieses Kinderdorf gebracht. Dort blieb ich ein paar Monate, bis ich dann in eine psychiatrische Klinik gesteckt wurde.«
»Warum wurdest du denn in eine psychiatrische Klinik gesteckt?«, fragte ich.
»Weil ich meinem Richter einen Brief geschrieben hatte, in dem ich erklärte, dass ich mir das Leben nehmen würde, wenn er mich zurück zu meiner Mutter schicken würde. Das gefiel ihm nicht sehr gut.«
Ich sah sie ernst an. »Hättest du das denn getan?«
»Vielleicht. Ich habe mit dem Gedanken gespielt. Nach der psychiatrischen Klinik haben sie mich zu diesem Paar geschickt, David und Karlynne. Sie waren nett. Ich war ihr erstes Pflegekind, daher war für sie alles irgendwie schwieriger. Karlynne war berufstätig und musste viel reisen, was hieß, dass ich mit ihrem Mann allein zu Hause bleiben musste. David hat mir nie etwas Schlimmes angetan, aber ich habe Männern nie richtig vertraut, daher sagte ich ihr, ich hätte Angst davor, eine ganze Woche mit ihm allein gelassen zu werden. Aber sie musste arbeiten, daher fuhr sie weg, und am zweiten Tag flippte ich aus. Ich rief meine Fallbetreuerin an, und sie kam und holte mich ab.«
»Mit mir scheinst du dich nicht unwohl zu fühlen«, bemerkte ich.
»Sie sind anders.«
»Wie anders?«
»Ich weiß nicht. Ich mag Sie einfach.«
»Ich mag dich auch«, sagte ich. »Und was ist dann passiert?«
»Danach bekam ich eine andere Fallbetreuerin. Meine neue Fallbetreuerin war fürchterlich. Sie glaubte nicht, dass meine Mutter so schlimm war, wie ich allen erzählte, daher beantragte sie, dass ich wieder nach Hause geschickt wurde. Ich sagte ihr, ich würde mir das Leben nehmen, doch sie sagte nur, ich sei manipulativ und wüsste, wie man das System ausnutzt. Ich konnte sie einfach nicht leiden. Ich rief ihre Vorgesetzte an, und ich bekam eine neue Fallbetreuerin.«
Ich fragte: »Wie alt warst du damals?«
»Das ist noch nicht lange her. Vielleicht ein halbes Jahr. Während der Staat überlegte, was er mit mir anfangen sollte, trat meine Mutter das Sorgerecht für mich an ihn ab. Das Seltsame ist, dass sie eine Woche später starb.« Sie sah mich an. »Das ist die Wahrheit.«
»Woran ist sie gestorben?«
»Ich weiß es nicht. Sie war ziemlich dick und hatte Diabetes und hohen Blutdruck. Daher hieß es, dass sie eines natürlichen Todes gestorben sei. Aber ehrlich gesagt, glaube ich, dass ihr Mann sie getötet hat. Niemand weiß es – es wurde keine von diesen Untersuchungen vorgenommen, die man macht, um zu sehen, warum jemand gestorben ist.«
»Eine Autopsie?«
»Ja«, sagte sie. »Eine Autopsie.« Sie steckte die Hände in die Hosentaschen. »Eine Zeit lang haben sie mich wieder ins Heim gesteckt. Dann kam ich zu einer neuen Pflegefamilie, den Brysons. Aber die waren richtig streng und abweisend, und damit kam ich einfach nicht klar. Daher bin ich eines Tages, als Mrs. Bryson einkaufen war, einfach weggelaufen. Seitdem lebe ich auf der Straße.«
»Und dort habe ich dich getroffen«, sagte ich.
Sie nickte. »Ganz schön unglaublich, so ein Leben, was?«
»Unglaublich ist für mich nur, wie du es geschafft hast, so
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