Bis zum letzten Mann
Ich hoffe, auch Skye wird nicht mehr von Ihnen fordern.«
Ihr Blick glitt über die versammelten Mienen. Zweifelnde Journalisten und trauernde Angehörige sahen sie an. Und auch ein Gesicht, das in dieser Versammlung nichts zu suchen hatte: kalte Augen in alten, wettergegerbten Zügen. »Wir werden es sehen«, fuhr sie fort, »aber zumindest können wir uns heute für das Opfer Ihrer Mitbürger bedanken, dem wir unsere jetzige Freiheit verdanken.«
Er stand ein Stück weiter hinten, in der Lücke zwischen den Familien und Reportern. Alt, aber mit gerader Haltung und einem Blick, der sich in Stahl bohren konnte. Tara schätzte ihn auf achtzig, vielleicht noch älter. Er stand knapp hinter einem Holojourna-listen, der gerade die Hülle von einer neuen Speicherdisk für seine Kamera riss und wegwarf.
»Es war mir eine Ehre«, brach sie ihre Rede vorzeitig ab, »an der Seite dieser tapferen Männer und Frauen dienen zu dürfen.«
Sie ließ keine Fragen zu, die Journalisten stellten jedoch auch keine. Sie waren damit zufrieden, die Aufnahmen zurück in die Redaktion zu bringen und dort zu entscheiden, was sich für die Nachrichten daraus machen ließ. Tara würde jederzeit wetten, dass es ein positives Bild ergab. Nach der Rettung Skyes stellten die Medien die Republik wieder in einem besseren Licht dar. Auch wenn das kaum mehr sein dürfte als die Stille im Auge des Sturms.
Duke Gregory dankte den Familien für ihr Erscheinen, während Tara die Bühne verließ und auf den Mann zuging, den sie in der Menge bemerkt hatte. Ein paar Trauernde hielten sie an, um ihre Hand zu schütteln. Sie drückte ihnen ihr Beileid aus.
Der Bildjournalist nutzte ihre Nähe zu einem Schlag unter die Gürtellinie.
»Countess, halten Sie es für angebracht, Ereignisse wie diese Gedenkfeier für politische Zwecke auszunutzen?«
Sie starrte über die Schulter des Journalisten in die Augen des alten Mannes. Es waren dunkle Augen unter schneeweißem, millimeterkurz geschorenem Haar. Er wirkte seltsam bekannt, obwohl sie sich sicher war, ihm noch nie begegnet zu sein. Er trug einen einfachen, mit L amm fell gefütterten Poncho. Warm und dem nassen Winterwetter angemessen.
»Countess?«
Weitere Kameras schwenkten herum und warteten auf eine Antwort. Tara hatte die Medienlandschaft Skyes lange genug ertragen, um zu wissen, dass sie mit einer Antwort nichts gewinnen konnte. Aber die Aufdringlichkeit des Reporters forderte eine Reaktion.
»Das ist eine interessante Frage«, erwiderte sie und drehte sich zu dem Mann um. »Vor allem von jemandem, der gerade die Gräber so vieler Bürger Skyes als Müllkippe benutzt hat.«
Der Reporter wurde blass, als sich die Kameras auf ihn richteten, ebenso wie die kalten Blicke der nahen Eltern, Geschwister und Verwitweten - all derer, die jemanden in der Schlacht verloren hatten. Tara lehnte sich ganz leicht vor. Die Muskeln spannten sich in ihren Schultern.
»Heben Sie Ihren Müll auf«, befahl sie leise.
Er schob das Kinn vor und starrte sie trotzig an. Einen Augenblick lang glaubte Tara wirklich, er würde sich ihr widersetzen. Möglicherweise hätte er es sogar getan, wäre nicht der Fremde mit dem harten Blick hinter ihn getreten und hätte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt. Gönnerhaft. Ermutigend. Dann beugte er sich vor und flüsterte ihm etwas zu. Tara konnte nicht erkennen, was. Der Hals des Reporters verdeckte den Mund des Mannes.
Der Journalist zuckte zusammen und nickte. Als der Fremde seine Hand zurückzog, bückte er sich, hob die Plastikverpackung auf und steckte sie in die Tasche. Dann räumte er hastig das Feld. Dabei rieb er sich die Schulter.
Keine Konfrontation bedeutete: auch keine Meldung. Die Medien richteten ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Feier und Taras Verbündeter zwinkerte ihr zu. »Gut gemacht«, stellte er fest. Seine Stimme klang nicht gerade warm, doch es lag eine Kraft darin, die die meisten Männer seines Alters
schon verloren hatten. »Das erklärt Ihren Ruf.«
»Medien«, winkte sie ab und wischte zugleich die Begegnung und ihre überzogene Berühmtheit vom Tisch. »Wenn man einmal mit Hermann zu tun hatte, weiß man, was man von ihnen zu halten hat.«
»Die Hermann-AG ist ein Medienkonzern mit großem Einfluss auf die Presse Skyes. In letzter Zeit hat sie Ihnen und Duke Gregory das Leben recht schwer gemacht. Von der Ausrichtung her ist sie äußerst pro-lyranisch. Ehrlich gesagt bin ich überrascht, dass es Ihnen auch nur gelungen ist, einen
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