Bis zur letzten Luge
gründlich. Sie beachteten ihre Schreie oder ihren Widerspruch nicht, sondern machten ihre Arbeit, als wäre sie ein Tier auf der Weide. Sie wollte glauben, dass die Anwesenheit der Schwestern bedeutete, dass das Ende in Sicht war, aber sie hatte Angst, dass es nur an der Zeit für die schmerzhafte Untersuchung war.
„Ro-Ro?“
Sie schlug die Augen auf und erblickte Ti’Boos Gesicht. Einen Moment lang dachte sie, sie hätte es sich nur eingebildet. „Ti’…“
„Versuch, nicht zu reden! Jetzt wird alles gut. Ich bleibe bei dir.“
„Wie …“ Schmerz durchzuckte sie, und sie kämpfte dagegen an.
„Schh … Wehr dich nicht. Der Schmerz wird nur schlimmer, wenn du dich dagegen wehrst.“
„Ich kann nicht …“ Ein Schrei entrang sich ihr, auch wenn die Schwestern sie davor gewarnt hatten, sich ihrem Selbstmitleid hinzugeben.
„Hol tief Luft, und drück meine Hand.“ Ti’Boo ergriff ihre Hand und hielt sie fest. „Bald kommt jemand und sieht nach dir. Schwester Mathilde hat mir heute Morgen eine Nachricht geschickt. Ich habe sie darum gebeten, mich zu benachrichtigen, wenn es losgeht.“
Aurore packte Ti’Boos Hand, als eine weitere Wehe sie ergriff.Ti’Boo hatte Aurores Aufenthalt in dem Kloster durch ihren Gemeindepfarrer arrangieren lassen. Das kleine Backsteingebäude befand sich an einem abgelegenen Bayou. Es bot einem strengen, abgeschiedenen Orden von französisch sprechenden Nonnen mit wenigen Mitteln und noch weniger Hoffnung darauf, dass sich das jemals ändern könnte, Unterschlupf. Es war nahe genug an Ti’Boos Zuhause, sodass ihre Freundin sie bereits zwei Mal besucht hatte, und doch weit genug von New Orleans entfernt, um sicher zu sein, dass Étienne sie nicht ausfindig machen konnte.
„Étienne. Hast du Étienne gesehen?“
„Er wird dich nicht finden. RoRo, press fester!“
„Er will dieses Kind!“
„Er will dich nur unglücklich machen.“
Tränen rannen ihr über die Wangen, vermischt mit einigen Schweißperlen. „Das ist ihm … gelungen.“
Ti’Boo wischte ihr mit einem Taschentuch über die Stirn. „Ich habe ein Zuhause für das Baby gefunden. Einen Platz, an dem er es niemals finden wird.“
„Wissen sie … Wissen sie …“ Sie konnte den Satz nicht zu Ende bringen. Wusste die Familie, dass das Kind nicht weiß war? Dass sein Vater nur als Weißer durchgegangen war, bis es aufgeflogen war? Selbst der Gedanke erfüllte sie mit tiefer Scham.
„Sie sind hellhäutige Farbige, die am Delta leben“, entgegnete Ti’Boo. „Sie können keine Kinder bekommen und möchten dieses Baby großziehen.“
Aurore hatte unzählige Fragen. Sie hasste den Vater dieses Kindes mit einer Leidenschaft, mit der sie ihn zuvor geliebt hatte. Eine Zeit lang hatte sie sogar das Baby gehasst. Sie hasste die Rasse des Kindes noch immer, wenn auch nur aus dem Grund, dass es nicht ihre eigene Rasse war. Sie könnte mit dem Kind in den Norden fliehen und hoffen, dass niemand jemals seine Herkunft herausfand. Aber wessen Gesichtwürde ihr aus der Wiege entgegenblicken? Welche Ausreden würde sie erfinden, wenn das Kind größer wurde und Fragen stellte?
Und was für eine Mutter würde Aurore Le Danois, einst Erbin der Gulf Coast Dampfschifffahrtsgesellschaft, für das Enkelkind eines Sklaven sein?
Sie ruhte sich ein bisschen aus und versuchte, Kraft zu sammeln, um den weiteren Schmerz zu überstehen. „Sind es … gute Menschen?“
„Natürlich. Würde ich dein Kind zu schlechten Menschen schicken?“
„Was … was passiert, wenn das Kind weiß aussieht? Wäre es dann nicht besser in einer … weißen Familie aufgehoben?“
„Es ist besser, dass das Kind ist, was es ist, RoRo.“ Sie murmelte leise etwas vor sich hin, doch Aurore hörte sie. „Das Blut wird es zeigen.“ Das letzte Wort ging in ein Schluchzen über.
„Es hat genug Lügen gegeben.“
Aurore wusste, zu welchem Leben sie das Kind verdammte. Sie kannte die schlimme Lage der Farbigen, auch wenn ihre Haut noch so hell war. Dennoch hatte sie nie näher darüber nachgedacht. Sie war immer von Farbigen umgeben gewesen, von ihnen erzogen, begleitet, beraten worden, doch sie hatte sich nie vorstellen können, in irgendeiner Art und Weise mit ihnen verbunden zu sein. Jetzt sollte sie einen von ihnen auf die Welt bringen.
Und würde ihr Kind die Demütigung ertragen müssen, weißen Männern und Frauen immer zu dienen und sich ihnen zu unterwerfen? Würde ihr Kind immer ganz hinten in der Straßenbahn fahren, sein
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