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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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Kopf in den Nacken und schrie: „Nein!“
    Raphael sah zu, wie Jules sich mit Luciens Leichnam abmühte. Er machte einen Schritt zurück, als Jules stolperte; dann schaute er zu, wie sie durch die Tür zur Treppe gingen.
    „Nein!“
    Noch einmal hörte er Aurores Schrei, der in der Leere in seinem Innern widerhallte.

17. KAPITEL
    D ie Krankenstation des Klosters hatte kahle Wände und einen gekachelten Boden. Der Fliesenfußboden wurde jeden Morgen und jeden Abend von einer Novizin des Ordens geschrubbt, auf Händen und Knien und mit wehendem weißen Gewand. Schwester Marie Baptiste hatte Aurore gebeten, nicht mit der Novizin zu sprechen, sie nicht einmal nach ihrem Namen zu fragen. Aurore hatte im Bett gelegen, schweigend die Schmerzen ertragen und sich bemüht, nicht die Dämpfe des Desinfektionsmittels einzuatmen.
    Sie hatte keinen Zweifel daran, dass das Teil ihrer Buße war, weil sie schwanger geworden war, ohne verheiratet zu sein. Vor fünf Monaten hatten die Schwestern sie aufgenommen, weil sie ihnen Geld gegeben hatte und weil sie davon überzeugt waren, dass es ihre christliche Pflicht war. Sie hatten ihr ein Zimmer gegeben, Essen und nicht enden wollende Stunden der inneren Einkehr. Aber es hatte keinen Versuch gegeben, ihr Leid zu lindern, als die Wehen gestern eingesetzt hatten. Das war etwas, das Aurore allein durchstehen musste. Und wenn sie große Schmerzen verspürte, dann war das umso besser. War es nicht das Los der Frau, für die Sünden Evas zu sühnen? Und war es nicht Aurores spezielles Los, für Tage in den Wehen zu liegen und dieses Kind auf die Welt zu bringen – ein Kind, das sie weggeben musste?
    Aurore schloss die Augen und wünschte sich, sie wäre tot. Der Schmerz war unerbittlich. Es gab keinen Moment, in dem sie in den Schlaf flüchten konnte. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Im Zimmer gab es keine Fenster, die ihr einen Blick nach draußen erlaubt hätten, um abzuschätzen, wie spät es war. Man hatte ihr verboten, während sie in den Wehen lag, zu essen oder zu trinken, also gab es auch keine Mahlzeiten, die ihr die Tageszeit verraten hätten. Die Schwestern, dienach ihr sahen, kamen und gingen, ohne zu reden. Als sie um Bestärkung bat, sagten sie ihr, dass das Kind noch nicht bereit war zu kommen.
    Étienne hatte ihr das angetan. Er hatte ihr die Jungfräulichkeit genommen, den Reichtum, den Vater, die Jugend. Er hatte sie mit seinem Kind alleingelassen, das er mit seinem Blut stigmatisiert hatte, sodass sie es, selbst wenn es ihr Wunsch gewesen wäre, nicht hätte behalten können. Jetzt kämpfte sie gequält darum, noch ein Leben auf diese Welt zu bringen, das mit unvorstellbaren Hindernissen würde zurechtkommen müssen.
    Außer das Kind zeigte keine Hinweise auf seine Herkunft, seine Wurzeln.
    Schweiß tränkte das Laken, und trotz der Warnung der letzten Schwester schob sie die Decke zurück, unter der sie lag. Schon unter den besten Bedingungen war der fensterlose Raum nur schwer zu ertragen. Im August jedoch war es die reinste Hölle – die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit waren so hoch, dass das Wasser in der Luft hing, wenn sie aufschrie, und ihr den Atem raubte.
    Vor Monaten hatte Cleo sie an einen anderen Ort gebracht, einen Ort, an dem Kakerlaken wie kleine Vögel von Ecke zu Ecke flogen und Spinnweben von den getrockneten Kräutern hingen. Aurore lag auf einer Pritsche, der beißende Geruch der Engelmacherin stieg ihr in die Nase. In diesem Moment war ihr klar geworden, dass sie es nicht übers Herz brachte, ihr ungeborenes Kind zu töten – egal, wie viel Geld sie gezahlt hatte oder wie sehr sie Étienne Terrebonne hasste.
    Stattdessen hatte Aurore sich Gott zugewandt. Sie war ins Kloster gegangen und hatte versprochen, dass sie nach der Geburt des Kindes das Gewand einer Novizin anlegen und das, was noch von ihrem Leben übrig war, Gott widmen würde, um ihre Seele zu reinigen.
    Sie hatte geglaubt, dass sie Letzteres erreichen könnte.
    Doch jetzt, nachdem sie seit Stunden diese furchtbaren Schmerzen durchlitt, wusste sie, dass sie ihren Hass niemals überwinden würde. Gebete und viele gute Taten würden nichts verändern. Sie hasste Étienne Terrebonne. Sie würde ihm niemals vergeben. Und wenn die Seele reinzuwaschen bedeutete, dass sie vergeben musste, dann würde sie sterben, ohne ihre Seele reingewaschen zu haben und ohne Reue zu zeigen.
    Die Tür ging auf. Sie konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken. Die Schwestern waren fähig und

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