Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
Vom Netzwerk:
Rosenkranzgebet in der letzten Bank der Kirche beten, kein Wahlrecht in der Politik und nur ein beschränktes oder gar kein Mitbestimmungsrecht an seiner Zukunft haben? Ihr Kind war ein Le Danois – egal, welche Hautfarbe es hatte oder wie die Beschaffenheit seinesHaars war. Es war ihr Kind.
    „Es sind gute Menschen, glückliche Menschen“, versicherte Ti’Boo ihr. „Sie werden dein Kind auch zu einem guten und glücklichen Menschen erziehen.“
    „Das reicht nicht!“ Sie ergriff Ti’Boos Hand. Im selben Moment verspürte sie den überwältigenden Drang, das Kind aus ihrem Körper zu drängen. „Nein!“
    „Was ist los?“ Ti’Boo beugte sich über sie, sah ihre Miene und vermutete richtig. „Ich werde Schwester Marie Baptiste holen. Ich bin gleich zurück, RoRo. Ich bin gleich zurück!“
    „Nein!“ Aurore hatte diesen Moment so sehr herbeigesehnt. Jetzt war sie vor Angst gelähmt. Bis zu diesem Augenblick hatte sie ihren Sohn oder ihre Tochter vor dem beschützen können, was ihn oder sie erwartete. Sie hatte gespürt, wie das Kind in ihr herangewachsen war, hatte ihre eigene Fürsorge wachsen gefühlt, bis sie den Hass in den Schatten gestellt hatte, den sie für Étienne empfand. Jetzt konnte sie ihr Kind nicht länger beschützen.
    Sie fühlte wieder den Drang, zu pressen, und obwohl sie sich dagegen wehrte, wusste sie, dass sie nichts tun konnte. Das Baby würde der Sohn oder die Tochter von fremden hellhäutigen Farbigen werden, die am Delta lebten. Sie würde das Kind für immer verlieren. Es würde ihr nie erlaubt sein, es vor einer Welt zu behüten, die sich wünschte, es wäre niemals geboren.
    „Nein!“ Aber während sie noch diesen letzten Protestschrei ausstieß, kam das Kind auf die Welt.
    Clarissa lag ganz ruhig in dem Korb, den die Schwestern für sie bereitgestellt hatten. Seit ihrer Geburt vor zwölf Stunden hatte sie nur wenig geschrien und kaum geschlafen. Sie lag mit offenen Augen da und fuchtelte mit Fäustchen und Beinchen herum, als wollte sie gegen die Luft aufbegehren, die sie gerade erst zu atmen begonnen hatte.
    Aurore beugte sich über sie und widersetzte sich der Aufforderung von Schwester Marie Baptiste, das Baby nicht auf den Arm zu nehmen. Clarissa sollte in regelmäßigen Abständen zu ihr gebracht werden, um gestillt zu werden. Anschließend sollte sie gleich wieder in den Korb gelegt werden. Aurore sollte sie nicht ansehen, wenn sie sie in den Armen hielt; sie sollte auf keinen Fall eine Bindung zu dem Kind eingehen.
    Clarissa war das hübscheste Baby, das Aurore je gesehen hatte. Ihre Augen waren von einer unbestimmten Färbung – von einer blassen, rauchigen Farbe, die weder so braun wie die Augenfarbe ihres Vaters noch so blau wie die ihrer Mutter werden würde. Ihre Haut war hell, obwohl sie mit der Zeit vermutlich etwas nachdunkeln würde. So rosig wie Aurores Haut war sie jedoch nicht. Sie hatte einen goldenen Schimmer, als wäre sie schon von der Sonne geküsst worden. Auf ihrem Kopf kringelten sich braune Löckchen, so weich wie Entendaunen.
    Vorsichtig hob Aurore ihre Tochter aus dem Korb und wiegte sie im Arm. Clarissa blickte in die Richtung von Aurores Gesicht. Aurore drückte sie an sich. „Was siehst du, Clarissa? Die Frau, die versucht hat, dich umzubringen? Die Frau, die dich zu einem Leben am Delta und einem Job in der Küche einer weißen Frau verdammt hat?“
    Doch noch während sie ihre Tochter ansah, wusste sie, dass Letzteres nicht eintreten würde. Mit der Weisheit einer Mutter war sie sich sicher, dass Clarissa in der Tradition vieler Frauen, die auch farbige Vorfahren hatten, wunderschön und bemerkenswert sein würde – und aus dem Grund gefährlich. Keine weiße Frau würde erlauben, dass sie in ihrer Küche oder in einem anderen Teil ihres Hauses arbeitete.
    Tränen rannen über Aurores Wangen. „Siehst du die Frau, die mit dir in ein Land fliehen will, in dem nur zählt, dass du ihre geliebte Tochter bist?“Aurore bemerkte, dass sie weinte. Sie wusste nicht, wie es möglich war, dass sie noch Tränen hatte. Sie legte Clarissa an ihre Schulter und hielt sie dort fest. Langsam begann sie, sich vor und zurück zu wiegen.
    Sie hörte ein Geräusch an der Tür, aber sie drehte sich nicht um.
    „Sie sollen das Kind nicht in den Armen halten, das hat man Ihnen doch gesagt!“
    Schließlich wandte sie sich doch um. Schwester Marie Baptiste, gewandet in drückendes Schwarz, stand in der Tür. Schwester Marie Baptiste, die für den Rest

Weitere Kostenlose Bücher