Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
Vom Netzwerk:
Offensichtliche auszusprechen. „Ein Sturm kommt auf.“
    „Aber wir haben schon Oktober, und es ist Ebbe. Der Sturm kann nicht besonders stark werden.“
    „Wissen Sie das mit Sicherheit?“
    „Dann glauben Sie etwas anderes?“
    „Gott allein weiß, wie stark der Sturm wird. Ich denke, ich werde ihm ein bisschen helfen, meine Kühe zu retten.“
    Lucien dachte an seine Rückfahrt zur Grand Isle. Was wäre, wenn der Mann recht behalten und der Sturm besonders schlimm werden würde? „Was tut Antoine, wenn es mir nicht gelingt, bis zum Abendessen zurück zu sein?“, murmelte er zu sich selbst. Die Vorstellung ließ ihn mehr frösteln als der Regen, der durch seinen Mantel drang.
    Er beschleunigte seine Schritte und fragte sich, wie es Marcelite ergehen würde, wenn tatsächlich ein Sturm aufkam. Ihre Hütte würde vielleicht beschädigt werden – vielleicht sogar so schlimm, dass es sich nicht mehr ausbessern ließ. Er dachte an Angelle; sicherlich würde die Kleine leiden, wenn das Dach leckte. Doch sie war ein starkes Kind. Es würde ihr nichts ausmachen, einmal nass zu werden.
    Was würde der Sturm ihrer Mutter antun?
    Als er von der Grand Isle hierhergesegelt war, hatte er hin und her überlegt, wie er Marcelite beibringen sollte, dass er nie mehr zurückkehren würde. Sie war weder unterwürfig noch dumm. Die meisten Menschen auf der Chénière besaßen wenig oder gar keine Bildung, aber Marcelite sprach sowohl Französisch als auch Englisch und las in ihrem eigenen Gebetbuch. Sie war durchaus in der Lage, nach New Orleans zu reisen und ihn mit seinen unehelichen Kindern zu konfrontieren.
    Er hatte ihr versprochen, im Frühling ein neues Haus bauen zu lassen, und wenn sie einen Sohn gebar, musste er ihm auch noch einen Logger schenken. Auf diese Versprechen würde sie beharren – wenn nicht auf mehr. Und falls Antoine herausfand, dass Marcelite noch immer ein Teil von Luciens Leben war, würde er ihn vernichten. Lucien hatte nicht mehr als einen guten Namen mit in die Ehe gebracht. Seine Finanzenwaren so mit denen seines Schwiegervaters verwoben, dass Antoine letztlich die Kontrolle über das Geld hatte.
    Trotz des Spaßes und der Lust, die sie ihm bereitet hatte, bereute Lucien es, Marcelite kennengelernt zu haben. Die Begierde und die Zuneigung, die er für sie empfand, waren nichts im Vergleich zu der Bedrohung, alles zu verlieren, das ihn zu dem Mann machte, der er war. Manchmal hatte er sich in New Orleans nach der Einfachheit, nach der Wärme seines Lebens auf der Chénière gesehnt. Doch er hatte nie in Betracht gezogen, alles aufzugeben, was er besaß, um mit Marcelite zusammenzuleben.
    Jetzt gewitterte eine Antwort auf seine Probleme am Horizont. Es war möglich, dass der Sturm – sollte er heftig genug sein – ihm nutzte. Wenn sie Angst hatte, erkannte Marcelite vielleicht, wie sehr sie der Gnade der Elemente ausgeliefert war. Alles, was er ihr anschließend anbieten würde, würde ihr wie ein großzügiges Geschenk vorkommen.
    Zum ersten Mal seit seiner Unterredung mit Antoine schöpfte er ein bisschen Hoffnung. Der stärker werdende Sturm konnte möglicherweise sein Verbündeter werden. Er beschloss, ihr den Grund für seinen Besuch nicht zu sagen, bis der Sturm vorüber war. Den richtigen Moment zu wählen konnte über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Und ein Misserfolg kam nicht infrage.
    Als er sich dem Häuschen näherte, bemerkte er die in aller Eile angebrachten Bretter aus Treibholz, die das Äußere schützen sollten. Er stellte sich vor, wie Marcelite mit Raphaels Hilfe auf einem Stuhl im Regen gestanden und sich bemüht hatte, das Haus wasserdicht zu machen. Es schien, als hätte sie schon einen Vorgeschmack auf das bekommen, was sie erwartete, wenn der Sturm schlimmer wurde.
    An der Tür blieb er stehen und versuchte, etwas von dem Regenwasser von seinem Mantel und seinen Schuhen zu schütteln, aber es war zwecklos.
    „Marcelite!“ Er schob die Tür auf und warf einen Blick ins Haus. Eine Laterne flackerte, und er sah Marcelite und die beiden Kinder, die in einer Ecke des Zimmers saßen. Er trat ein und schloss die Tür hinter sich.
    „Lucien!“ Sie sprang vom Stuhl auf und durchquerte das Zimmer mit drei Schritten. Er breitete die Arme aus und umarmte sie. Die Kinder starrten ihn an. „Ich dachte, du wärst schon wieder zurück in New Orleans.“
    „Ich fahre morgen. Ich hatte nicht vor, heute hierherzukommen, doch als ich sah, dass sich ein Sturm nähert …“ Er

Weitere Kostenlose Bücher