Bis zur letzten Luge
als das Schweigen sich hinzog. „Bei mir ist das nicht anders.“
„Nein? Und was passiert, wenn aus der Belohnung eine Pflicht wird?“
„Ich weiß nicht, was du meinst.“
„Dabei ist es so einfach.“ Antoine schenkte sich noch einen Drink ein. „Nehmen wir an, dass etwas, das dir viel Freude bereitet, plötzlich zu einer Last wird. Was tust du?“
„Das würde darauf ankommen, was es ist.“
„Lass es uns noch einfacher machen. Angenommen, ein Mann hat eine Frau, die er liebt. Diese Frau ist nicht seine Ehefrau. Aber er ist verheiratet und seiner Gattin gegenüberverpflichtet. Sagen wir, dass er diese Geliebte verlassen muss, weil er sonst – falls er sich weigern würde – alles verlieren würde, für das er sein ganzes Leben lang gearbeitet hat.“
Trotz des Kaminfeuers begann Lucien zu frösteln.
„Ich sehe, dass du allmählich zu verstehen scheinst“, sagte Antoine. „Dann will ich weitermachen. Also ist die Frau, die früher für Lust und Vergnügen stand, eine Last geworden. Leider ist die Frau nicht die einzige Last. Es gibt auch Kinder. Sie sind natürlich der Grund, warum er die Frau verlassen muss. Die Unantastbarkeit seiner rechtmäßigen Familie darf nicht verletzt werden. Unter gar keinen Umständen kann zugelassen werden, dass seine Bastarde irgendetwas erben, das ihm oder der Familie seiner Ehefrau gehört.“
Lucien trat näher an den Kamin und die wärmenden Flammen heran. Es hatte keinen Sinn mehr, irgendetwas abzustreiten oder so zu tun, als würde er nicht verstehen. Er konnte sich nur mit einem Versprechen retten. Aber als er dieses Versprechen gab, klang seine Stimme selbst in seinen Ohren zittrig. „Marcelite Cantrelles Kinder werden niemals etwas erben, das den Friloux gehört. Du hast mein Wort.“
„Dein Wort? Was ist das Wort eines Mannes wert, der mit der Hure eines Sklaven verkehrt?“
Lucien konnte spüren, wie die Farbe aus seinen Wangen wich. Er blickte Antoine an. „Wie bitte?“
„Willst du behaupten, dass du mich nicht verstanden hättest?“
„Ich weiß nicht, was du meinst!“
„Du hast das Kind dieser Hure gesehen und das Offensichtliche nicht erkannt?“
„Raphael?“
„Schließ die Augen, und ruf dir sein Gesicht in Erinnerung. Was siehst du?“
„Marcelite hätte mir das gesagt!“
„Nicht wenn sie klug ist.“ Angewidert verzog Antoine dieLippen. „Hätte sie dir erzählen sollen, dass der Vater des Jungen als Sklave geboren wurde? Dass er der Sohn eines Plantagenbesitzers und einer Hausangestellten war?“ Er hob die Hand, damit Lucien ihn nicht unterbrechen konnte. „Oder hätte sie dir erzählen sollen, dass ihre eigene Familie sie davongejagt hat, als sie sich in ihn verliebte? Dass sie allein überleben und das Kind großziehen sollte? Und wenn du sie nach dem Neger gefragt hättest, hätte sie dir erzählen sollen, dass er eines Nachts verschwunden ist und nie wieder auf der Chénière gesehen wurde? Oder dass einige Leute behaupten, dass er von ihrem Bruder ermordet wurde?“
„Nein!“
„Ja“, erwiderte Antoine. Er stürzte den Rest seines zweiten Drinks herunter, ließ Lucien allerdings nicht aus den Augen. „Wenn eine Freude zur Last wird, sollte ein Mann darüber nachdenken, wie er sich davon befreit.“
Lucien starrte ihn an, doch sein Blick war auf einen Punkt jenseits der Grand Isle gerichtet.
„Weder deine Familie noch meine ist je mit unreinem Blut in Berührung gekommen. Und daran soll sich nichts ändern“, fügte Antoine hinzu, als Lucien nicht antwortete.
„Selbst wenn das, was du über Raphael sagst, stimmen sollte, so ist das Blut meiner Tochter rein.“
„Kannst du einer Frau glauben, die ihren Körper so leicht verschenkt? Was meinst du? Welches Blut fließt durch ihre eigenen Adern? Die Menschen auf der Chénière sind Piraten, Schmuggler, Fischer. Macht es ihnen etwas aus, wenn ein Hauch Farbe ihre Haut verdunkelt? Nein. Alles, was sie interessiert, ist die nächste Brise, das nächste Schiff oder ob die Fische beißen. Kannst du mit Sicherheit sagen, dass das Blut deiner Angelle rein ist?“
Lucien wurde noch bleicher.
Kopfschüttelnd stellte Antoine sein Glas ab und trat zu Lucien ans Feuer. „Ich habe zusehen müssen, wie meineTochter bei der Aufgabe, dir ein gesundes Kind zu schenken, wieder und wieder versagt hat. Ich bin ein alter Mann. Vermutlich werde ich mein Enkelkind nicht mehr aufwachsen sehen. Aber ich habe einen Bruder, und der hat Kinder. Ich werde nicht zulassen, dass du
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