Bis zur letzten Luge
alles, was ich bin und was ich habe, an deine Bastarde weitergibst.“
„Sie können nicht erben, sie …“
„Sie können deine Erben werden, wenn du dich dafür entscheidest! Und wenn Claire stirbt und du diese Marcelite heiratest, dann können sie alles erben.“
„So weit würde es niemals kommen!“
„So weit wird es niemals kommen.“ Antoine sah ihn an. Sie waren auf Augenhöhe. „Ich weiß nicht, wie, Lucien, doch du wirst die Beziehung mit dieser Frau beenden, und zwar sofort. Wenn du es nicht tust, werde ich dich ruinieren. Ich werde dein Leben auf eine Art ruinieren, die du dir in deinen kühnsten Träumen nicht vorstellen kannst. Ich werde damit anfangen, deinen Namen in der Gesellschaft schlechtzumachen und dich finanziell zu vernichten. Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du nichts mehr besitzen, das du deinen Bastarden vererben könntest.“
„Und Aurore? Würdest du ihren Namen zusammen mit meinem in den Dreck ziehen?“
„Ich glaube, dass es müßig ist, sich darüber Gedanken zu machen, weil Aurore wahrscheinlich sowieso nicht lange genug leben wird.“
„Lieber Gott …“
„Unter diesen Umständen eine wirklich seltsame Bitte.“
Antoine zog seine Uhr aus der Tasche und neigte sie in Richtung der Flammen, um sie ablesen zu können. „Um sieben Uhr gibt es das Abendessen. Du solltest dich umziehen.“
„Ich brauche Zeit, um darüber nachzudenken, wie ich am besten …“
„Du hast den morgigen Tag. Danach gibt es keine Gelegenheitmehr. Montagmorgen reisen wir zurück nach New Orleans. Wenn es so weit ist, wirst du alle Erinnerungen und alle Gedanken an die Chénière und deine Freuden dort hinter dir lassen. Und wenn du das nicht schaffst?“ Er steckte die Uhr wieder zurück in seine Tasche. „Dann wirst du erfahren, was es heißt, etwas zu bedauern. Und ich werde wissen, wie es ist, herzlos zu sein. Vielleicht kannst du uns beiden dieses Schicksal ersparen …“
6. KAPITEL
D ie Kirche unserer lieben Frau von Lourdes war der beeindruckendste Besitz von Chénière Caminada. Das Prächtigste an der Kirche war die Glocke aus massivem Silber, die dreimal am Tag zum Angelusgebet läutete und die Bewohner zur Messe einlud. Am Sonntag zählte Raphael die melodischen Töne. Für ihn gab es keinen schöneren Klang.
Seine Mutter hatte ihm die Geschichte der Glocke erzählt. Vor vielen Jahren hatten die Bewohner der Chénière aufgehört, zu fischen, zu jagen oder Netze zu knüpfen, um eine Kirche für Gott zu errichten. Der liebe Gott, le bon Dieu , hatte wohlwollend auf sie hinabgeblickt, aber er war traurig gewesen, weil keine Glocke zum Himmel geschlagen und seinen Namen gepriesen hatte. Also hatte der Priester eine silberne Platte mit dem Familienwappen gespendet, damit sie eingeschmolzen werden konnte. Die guten Menschen im Dorf hatten daraufhin ebenfalls all ihr Gold und Silber gespendet. Im Dunkel der Nacht hatte ein Nachbar den anderen dabei beobachtet, wie der sich davongestohlen und auf einen geheimnisvollen Ausflug gemacht hatte. Und am nächsten Morgen war die Sammlung um einige glänzende Dublonen und Piratenschätze reicher gewesen.
Als genug zusammengekommen war, hatte man all das edle Metall weggeschafft, damit es gegossen werden konnte. Und endlich war die Glocke in den Turm geschafft worden, um ihre Melodie über die Halbinsel zu schicken.
Jetzt sagte die Glocke Raphael, dass die Messe bald beginnen würde. Wie immer würde seine Familie nach dem Einzug in die Kirche schleichen und vor dem Segen wieder verschwinden. Raphael verstand nicht, warum sie nicht länger blieben; er wusste nur, dass es für seine Mutter ein Tag wie jeder andere war, auch wenn sie sonntags keine Netze knüpfte.
Es gab keine Familie, die sie besuchen konnten, und sie trafen sich auch nicht mit Freunden. Manchmal spazierten sie am Strand entlang, doch sie waren immer allein, solange Monsieur Lucien nicht vorbeikam.
Wie immer hatte die Messe bereits begonnen, als sie sich in die letzte Bank setzten. Raphael hörte den vertrauten Worten nur mit halbem Ohr zu. Pater Grimaud war ein netter Mann, der ihm einmal ein Stück Zuckerrohr geschenkt hatte. Seine Stimme war tief und voll. Raphael war sich sicher, dass Gott selbst leiser sprach. Er beobachtete, wie die wenigen anderen, die sich herausgewagt hatten, nach vorn gingen, um die Kommunion zu empfangen. Aber weder er noch seine Mutter folgten ihnen.
Als sie gingen, blies der Wind stärker, und der Regen fiel und bildete tiefe Pfützen.
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