Bis zur letzten Luge
Raphael hatte nicht mit seiner Mutter über Juans Warnung gesprochen. Jetzt war er hinund hergerissen zwischen dem, was Juan und was Monsieur Lucien gesagt hatten. Trotz des Capes seiner Mutter und trotz des dünnen Mantels, den sie ihm angezogen hatte, waren sie schnell durchnässt. Der Wind zog an den Haaren seiner Mutter und riss sie aus den Klammern, sodass ihr lange Strähnen um den Kopf flatterten.
Zu Hause schnitt sie Maisbrot in Scheiben, um es in dickflüssigen Zuckerrohrsirup zu tauchen. Sie saßen am Tisch, aßen stumm und lauschten dem Wind. Schließlich konnte Raphael nicht länger schweigen.
„Juan sagt, dass es heftigen Wind geben wird. Noch mehr Wind, als jetzt schon bläst. Er sagt, dass wir nicht hierbleiben können, wenn es so weit ist.“
Seine Mutter schenkte sich etwas von dem starken schwarzen Kaffee ein, den sie aufgebrüht hatte, während die Kinder gegessen hatten. „Sagt er auch, wann der Sturm kommt?“
„ Non . Aber er meinte, wir sollten zu Picciolas Laden gehen. Dann hat Monsieur Lucien gesagt, ich solle dich nichtmit Juans Geschichten beunruhigen.“
„Und hat Monsieur Lucien gedacht, der Wind würde mich nicht beunruhigen?“ Marcelite schlang die Finger um die Tasse, um sich die Hände zu wärmen.
Angelle streckte die Arme nach Raphael aus, und er hob die Kleine auf seinen Schoß. Sie nutzte die Gelegenheit, seinen restlichen Sirup mit den letzten Krümeln ihres Maisbrotes aufzutunken. Ihr Gewicht auf seinem Schoß weckte in ihm das Gefühl, erwachsen zu sein. Er mochte den Duft ihrer Locken, das Gefühl ihrer patschigen Fingerchen auf seiner Wange. Eines Tages wäre Angelle alt genug, um genauso weit zu laufen wie er, und niemand würde ihr verbieten, mit ihm zu spielen. Schon jetzt hörte sie aufmerksam zu, wenn er von Piraten und Schatztruhen erzählte.
„Viele Leute werden zu Picciolas Laden gehen“, murmelte Marcelite. „Es wird nicht genug Platz für alle sein.“
„Angelle und ich sind doch noch klein.“
Marcelite erwiderte nichts.
Raphael setzte Angelle auf dem Boden ab, als sie anfing, unruhig zu werden. Sie ging in die trockenste Ecke der Hütte, um mit einem Spielzeug zu spielen, das Monsieur Lucien ihr geschenkt hatte. Er trank den kleinen Becher Milch aus, den seine Mutter ihm eingeschenkt hatte, und wartete.
„Pater Grimaud würde uns nicht wegschicken“, sagte Marcelite schließlich.
Zweifelnd dachte Raphael an den langen Weg zur Kirche. Doch die Kirche stand auf einer Anhöhe, und sie war sehr sorgfältig gebaut worden. Mit Gottes Hilfe würde die Kirche den Sturm sicherlich überstehen.
Marcelite sah ihn an und schenkte ihm eines ihrer seltenen Lächeln. „Du bist ein Kind, Raphael. Du solltest dir über solche Dinge keine Gedanken machen.“ Sie streckte die Arme aus.
Scheu kam er um den Tisch herum und ließ sich von ihr in die Arme schließen. Sie duftete nach Jasmin und Herbstregen.
Er legte seinen Kopf an ihre Brust und schwor, dass er, auch wenn er ein Kind war, seine Mutter und Angelle in Sicherheit bringen würde.
Derselbe Hund, der am Tag zuvor an Luciens Schuhen geschnüffelt hatte, lief ihm an diesem Tag wieder über den Weg. Den Schwanz zwischen den Beinen eingeklemmt, schlich das Tier zu einem Häuschen mit geschlossenen Fensterläden und begann zu heulen.
Zur Chénière zu segeln war so schwierig gewesen, dass es mittlerweile schon fast drei Uhr war. Als Lucien sein Boot an Land zog, war ihm nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Die Ebbe hatte kleine Meeresbewohner und Muscheln in Pfützen zurückgelassen, und eine Gruppe älterer Kinder durchstöberte die Lachen nach kleinen Schätzen.
Aber als er sich dem Dorf näherte, wirkte der Anblick längst nicht mehr so unschuldig. Überall sah er Frauen, die alles zusammenrafften, was sie tragen konnten, und hineinbrachten. Selbst kleine Kinder schleppten alles Mögliche ins Haus. Die Männer sicherten die Boote und ihre Hütten – trotz der Tatsache, dass das Wildgeflügel sich bei Sturm oft an den Erhöhungen sammelte und es an einem Tag wie diesem ein Vergnügen sein musste, zur Jagd zu gehen.
Lucien rief einem jungen Mann zu, der an einem ausgefransten Seil eine Kuh hinter sich herzog: „Warum sind alle so besorgt?“ Seine Stimme ging im Donner unter, und er versuchte es noch einmal. Er sprach langsam, da sein eigenes Französisch sich sehr von der Mundart unterschied, die auf der Chénière gesprochen wurde.
Der junge Mann runzelte die Stirn, als würde ihm missfallen, das
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