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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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Gesichter erkennen zu können, aber sie nahm an, dass die in Blau gekleidete Frau ganz vorn Ti’Boo sein musste.
    Ti’Boo. Sie schluckte den Kloß herunter, der sich seltsamerweise in ihrem Hals gebildet hatte. Sie würde ihre Freundin nie mehr ansehen oder Briefe von ihr lesen können, ohne an die Nacht im Oktober vor zwölf Jahren zu denken, als Ti’Boos Onkel sie aus dem Cottage bei Krantz geholt und in seinem Haus inmitten eines Hains uralter Wassereichen in Sicherheit gebracht hatte.
    Das schwappende Geräusch der Schaufelräder erstarb allmählich, und das Dampfschiff trieb zur Anlegestelle. Jetzt konnte Aurore das Gesicht ihrer Freundin erkennen, das von einem Sonnenhäubchen aus Stoff, einer garde-soleil , umrahmt war.
    „Ro-Ro!“
    Aurore ging zur Seite des Schiffes und wartete, bis sie von Bord gehen konnte. Und im nächsten Moment schloss sie Ti’Boo endlich in die Arme.
    „Du kannst doch unmöglich größer sein als ich!“ Ti’Boo hielt Aurore auf Armeslänge entfernt, um sie anzusehen. „Das kann nicht sein!“
    „Jetzt muss ich das Kindermädchen für dich sein.“ Aurore blickte ihre Freundin an und nahm begierig jede Kleinigkeit in sich auf. Ti’Boo war einige Zentimeter kleiner als sie. Sie war nicht mehr rundlich, sondern hatte eine wunderschöne weibliche Figur bekommen. Ihre Haut war noch so glatt und rosig wie in Kindertagen.
    „Du bist so elegant. Très chic !“ Ti’Boo schüttelte beinahe ehrfürchtig den Kopf.
    Aurore hatte sich entschieden, in ihrem schlichtesten Leinenkostümzu reisen, das nur mit einer bescheidenen Zierborte geschmückt war. Auf dem Kopf trug sie einen Matrosenhut aus Stroh mit herabhängenden Bändern. Doch nichts, was sie besaß, war so schlicht wie Ti’Boos Baumwollkleid. „Zu elegant“, entgegnete sie und fächelte sich mit der Hand Luft zu. „Und unglaublich unbequem.“
    „Ich finde dich wunderschön.“
    Einen Moment lang fühlte Aurore sich so scheu und unsicher wie als Kind.
    Ti’Boo packte sie an der Hand und zog sie zu den Menschen, die auf dem Anleger standen. „Komm! Du musst meine Familie kennenlernen!“
    Schnell war Aurore von Menschen umringt. Sie wurde Ti’Boos Vater Valcour vorgestellt, vier ihrer jüngeren Brüder und ihrer Schwester Minette, eine größere, schmalere Version von Ti’Boo.
    Valcour wies die Jungs an, an Bord zu gehen und Aurores Koffer und das restliche Gepäck zum Haus zu bringen. Ti’Boo hatte liebevoll den Arm um Aurore geschlungen, und Minette war hinter ihnen, als sie sich schließlich bereitmachten aufzubrechen. Aurore winkte zum Abschied noch einmal dem Kapitän und seiner ernst dreinblickenden Frau zu, die an Deck zu ihm gekommen war, dann machten sie sich auf den Weg.
    Eine unbefestigte Straße schlängelte sich am Damm entlang. Auf der gegenüberliegenden Seite der Straße standen die Häuser so eng zusammen, dass ein Ruf von einem der breiten Vorbauten bestimmt den Nachbarn auf der anderen Seite erreichte. Hunde dösten im Schatten und hoben kaum die Köpfe, als der Zug junger Damen an ihnen vorbeikam. Auf den Veranden und Höfen jedoch wimmelte es von Menschen, die um einiges aufmerksamer waren.
    Ti’Boo blieb an jedem Haus stehen und stellte Aurore stolz ihren Cousinen und Cousins, Tanten, Onkel und auch Nachbarnvor; sie alle schienen eine große Familie zu sein. Wieder und wieder wurde Aurore von Kopf bis Fuß gemustert und im Akzent der Bayous willkommen geheißen.
    Was sie allerdings sehr wohl verstand, war, für wie viel Aufregung ihr Besuch sorgte. Sie war eine Frau aus der Stadt, eine feine Dame aus New Orleans, die weit gereist war, um die Hochzeit ihrer Freundin zu feiern. Ganz bestimmt unterschied sie sich von den anderen Leuten ihrer Schicht. Wer von den Menschen, die an den Bayous lebten, hatte schon von einer Frau wie Aurore gehört? Von einer Frau, die eine so weite und gefährliche Reise auf sich genommen hatte, ohne eine Freundin oder Verwandte dabeizuhaben, die auf sie achtete? Ti’Boo musste eine sehr gute Freundin sein, um eine so gute Freundin zu haben.
    „Mein Vater weiß nicht, dass ich hier bin“, gestand Aurore, als sie weitergingen und sich Ti’Boos Haus näherten. Der Zug war inzwischen noch länger geworden. Eine ganze Reihe kichernder barfüßiger Mädchen in weiten Baumwollkitteln und mit Sonnenhäubchen folgte ihnen in einigem Abstand.
    „Wird er nicht wütend, wenn er herausfindet, dass du weg bist?“
    „Ich hoffe, dass er niemals dahinterkommt.“ Aurore

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