Bis zur letzten Luge
er.
„Ja, gut. Was ist mit Ihnen?“
Er lächelte, als würde er die Frage amüsant finden. Seine Zähne hoben sich weiß gegen die sonnengebräunte Haut ab, und seine dunklen Augen funkelten belustigt. „Ein fliehendes Pferd ist hier nur eine Kleinigkeit. Und zwei? Zwei Kleinigkeiten.“
Seine Stimme klang voll und tief, ein melodischer Bariton. Aurore war es gewohnt, den Stimmen junger Männer zu lauschen; sie war es allerdings nicht gewohnt, sie so schön zu finden.
Auch sie lächelte. „Tja, nirgendwo ist es eine ‚Kleinigkeit‘, wenn man ihnen hinterherstürzt und dabei sein Leben riskiert. Ich weiß nicht, ob ich noch rechtzeitig hätte zur Seitespringen können, wenn Sie die Tiere nicht aufgehalten hätten.“
„Es wäre doch ein Jammer gewesen, zusehen zu müssen, wie eine so reizende junge Frau niedergetrampelt wird.“
„Étienne, du bist noch nicht einmal vorgestellt worden!“ Ti’Boo trat vor und drohte ihm spielerisch mit dem Finger. „ T’as du goût .“
„Ich denke, für die Vorstellung fehlen nur noch ein oder zwei Namen“, lächelte Aurore. Sie streckte die Hand aus. „Ich bin Aurore Le Danois aus New Orleans.“ Sie wartete auf seine Antwort.
Es gab ein winziges Zögern. Sie nahm an, dass seine Hände schmutzig waren und er sie nicht auch beschmutzen wollte. „Étienne Terrebonne“, erwiderte er schließlich und schüttelte ihr kurz die Hand, ehe er sie schnell wieder losließ. „Aus New Orleans?“
„Ich bin zu Ti’Boos Hochzeit angereist.“
„Sie kennt Ti’Boo, seit sie ein Kind ist“, mischte Minette sich in die Unterhaltung ein. „Und sind wir uns eigentlich schon vorgestellt worden?“
Étienne wandte sich ihr höflich zu. „Vermutlich nicht. Ich komme nicht oft in diese Gegend.“ Er machte eine knappe altmodische Verbeugung.
Eine Flut an schnellen französischen Sätzen vereitelte jede weitere Unterhaltung. Humpelnd und fluchend kam Faustin zu ihnen. Er hatte überhaupt keine Ähnlichkeit mit seinem Sohn, der groß und geschmeidig war. Faustin war ein kleiner Mann, gedrungen und gebeugt von jahrelanger harter Arbeit. „Die Hornissen haben sich beruhigt. Lass uns das Holz abladen, damit ich gehen kann, Étienne.“
Étienne runzelte die Stirn und berührte einige Beulen im Nacken seines Vaters, doch der schlug barsch die Hand beiseite.
„Komm schon, lass uns das jetzt hinter uns bringen!“, knurrte Faustin.
Étienne machte eine weitere kurze Verbeugung und drehte sich dann mit den Pferden um. Die Frauen gingen zur Seite und sahen ihm vom Straßenrand aus hinterher, bis Étienne und sein Vater sich schließlich dem Zaunpfahl und den einzelnen Latten widmeten.
„Die schmachtenden Blicke kannst du dir sparen“, zog Ti’Boo ihre Schwester auf. „ Maman würde niemals erlauben, dass du mit einem Mann vom anderen Ende des Bayou Lafourche zusammen bist, und erst recht nicht mit Étienne. Er und sein Vater leben allein und haben nichts.“
„Das wäre es beinahe wert, in den Sümpfen zu leben.“ Aurore wusste nur wenig über die Sümpfe oder über die Armut, die Ti’Boo angedeutet hatte. Aber obwohl sie Étienne nur kurz vorgestellt worden war, dachte sie darüber nach, dass Minette vielleicht recht hatte. Mit siebzehn machten viele junge Männer aus der feinen Gesellschaft von New Orleans Aurore den Hof. Sie war eine glänzende Partie: In ihr vereinten sich das richtige, das reine Blut und beträchtlicher Wohlstand – eine Mischung, die sowohl die verarmte Oberschicht als auch die gewieften amerikanischen Emporkömmlinge ansprach.
Doch bei keinem der zahllosen gesellschaftlichen Anlässe, die sie besucht hatte, war sie einem Mann wie Étienne Terrebonne begegnet – einem Mann, der Charme und Kraft so spielend im Gleichgewicht hielt wie die Bretter aus Zypressenholz aus dem Sägewerk seines Vaters.
11. KAPITEL
J ules Gilbeau hatte noch alle seine gottgegebenen Zähne und dichtes silbergraues Haar. Er war breitschultrig und schlank, und wenn Ti’Boo im Raum war, wandte er keine Sekunde lang seine warmherzigen dunklen Augen von ihr. In den Tagen seit Aurores Ankunft war ihr von einigen Frauen anvertraut worden, dass Jules’ erste Frau kränklich gewesen sei; sie sei eine Nörglerin gewesen, die auf das Wohlwollen ihrer maman und ihrer Schwestern angewiesen gewesen sei, damit ihre Aufgaben erledigt und ihre Kinder versorgt wurden. Ti’Boo würde viel besser zu einem Mann wie Jules passen, einem Mann, der eine hingebungsvolle und aufopfernde
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