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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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Aurore mit Taschentüchern weit weniger tödliche Spiele gespielt. „Wie können sie kämpfen und dabei das Taschentuch festhalten?“
    „Sie kämpfen mit Messern.“
    „Mit Messern?“
    „Schhhh …“
    Aurore machte einen Schritt nach vorn. Sie schien vergessen zu haben, dass sie sich in den Schatten halten sollte. Siekonnte nicht glauben, dass Männern eine so kleine Entschuldigung ausreichte, um sich gegenseitig in Stücke zu schneiden. Doch noch während sie das dachte, blitzte im Schein des Feuers eine Klinge auf. Mit der Haltung eines Kämpfers packte Étienne eine Ecke des Taschentuchs. Er warf sein Messer in die Luft und fing es mit einer schwungvollen Geste wieder auf.
    „Ich bin fertig, mon ami“, sagte er.
    Aurore wollte schreien. Nichts war ihr je sinnloser vorgekommen. Ein Mann beschimpfte einen anderen, und plötzlich standen sie kurz davor, sich zu töten. Der Hahnenkampf war dagegen gesittet gewesen. Die Hähne waren nur zu diesem Zweck gezüchtet worden.
    Vic schien noch einmal nachzudenken. Aber dann verlagerte er ohne Vorwarnung das Gewicht und machte einen Satz nach vorn. Étienne war darauf vorbereitet. Er drehte sich und wich dem Angriff leichtfüßig aus. Während Vic noch versuchte, sein Gleichgewicht wiederzufinden, stach Étienne ihm in die Schulter. „Du blutest wie ein Schwein!“
    „Er hätte ihn noch schlimmer verletzen können.“ Minette wollte Aurore wieder in den Schutz der Weiden zurückziehen, doch Aurore rührte sich nicht. „Er will ihn nicht töten.“
    Aurore war nicht überzeugt. Selbst wenn es stimmte, was Minette sagte, schien Vic nicht solche Vorbehalte zu haben. Augenscheinlich war er versessen darauf, Étienne umzubringen. Wieder stürzte er sich auf ihn, und wieder duckte Étienne sich. Dieses Mal erwischte er mit dem Messer Vics Unterarm. „Sei vorsichtig, oder du endest wie das Schwein an einem Spieß“, warnte Étienne seinen Gegner.
    Vic wirbelte herum und stürmte aus einer anderen Richtung auf Étienne zu. Als hätte er diesen Angriff erwartet, blockte Étienne Vics Arm mit seinem ab. Das Messer auf Vics Brust gerichtet, holte er aus und schnitt die Knöpfe von Vics Hemd ab. Mit einem zornigen Aufschrei stürzte Vic sich aufihn. Aber jedes Mal, wenn er Étienne verletzen wollte, war Étienne woanders. Étienne zerschnitt Vics Ärmel, und der Stoff hing nur noch an wenigen Fäden. Wieder holte er aus, und Blut strömte aus einer langen Wunde an Vics Hals.
    Vic brüllte vor Wut auf und sprang nach vorn. Er erwischte Étiennes Arm. Stoff riss, doch es war kein Blut zu sehen. Entsetzt schlug Aurore die Hand vor den Mund.
    Étienne trat zur Seite, als wollte er einem weiteren Zusammenstoß mit Vics Messer ausweichen. Triumphierend lehnte sich Vic mit erhobener Klinge vor, aber Étienne wich erneut geschickt aus. Vic fiel hin, die Ecke des Taschentuchs noch immer in der Hand, und sein Messer schlitterte über den Boden. Er rollte sich auf den Rücken und erblickte Étienne, der über ihn gebeugt stand, die Klinge auf sein Herz gerichtet.
    Étienne bückte sich weiter herunter und kam mit seinem Messer näher und näher. Hasserfüllt blickte Vic ihn an, ließ das Taschentuch jedoch nicht los.
    Mit der scharfen Klinge seines Messers durchtrennte Étienne das Taschentuch, sodass beide Männer je eine Hälfte in der Hand hielten. „Du hast Mut, Vic. Ich töte keine mutigen Männer.“
    Aus dem Kreis der Männer ertönte Gemurmel. Einige nickten. Einer der Männer klatschte Beifall. Vic starrte auf das halbe Taschentuch in seiner Hand und sah Étienne dann ins Gesicht. Langsam steckte er das, was von seinem Taschentuch noch übrig war, zurück in die Tasche.
    Étienne richtete sich auf und blickte zu Aurore, die noch immer vor aller Augen in der Nähe der Weiden stand. Er lächelte leicht und machte eine kleine Verbeugung. Doch selbst aus der Entfernung und obwohl seine Züge nur durch das flackernde Lagerfeuer erhellt wurden, wusste sie, dass er keine Genugtuung empfand.

12. KAPITEL
    A urore Le Danois war abgereist. An diesem Morgen war sie unter unzähligen zugerufenen Abschiedsgrüßen auf das leicht ramponierte Flachbodenboot eines Händlers gestiegen und über den Bayou verschwunden. Verschwunden aus Côte Boudreaux – aber, wie Étienne sich geschworen hatte, nicht aus seinem Leben.
    Étienne trieb den letzten Nagel in das letzte Brett des Raumes, den für Valcours Nachbarn zu bauen er versprochen hatte. Nestor Johnson war nett zu ihm gewesen. Er war alt.

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