Bis zur letzten Luge
Wege, um seine Angelegenheiten zu regeln?“
„Manche Männer kämpfen, weil sie nichts Besseres zu tun haben. Andere kämpfen, um alte Fehler zu rächen. Und wieder andere, um neue Fehler zu rächen.“
„Und Sie?“
„All das und nichts.“
Sie fragte sich, ob sie vor diesem Mann Angst haben sollte.
Er hatte sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt, um sie zu retten, doch er war auch ein Mann, der offenbar nichts gegen Gewalt einzuwenden hatte. Er beobachtete sie, als wüsste er, was ihr durch den Kopf ging. Sein Blick war fest. Irgendwie wusste sie – ohne genau sagen zu können, warum es so war –, dass er von ihr erwartete, die Augen zuerst abzuwenden. Sie hielt seinem Blick stand. „Tja, im Moment kämpfen Sie nicht.“
Die Musik setzte wieder ein. Es war ein Lied, das schneller und fröhlicher war. Im nächsten Augenblick fand sie sich in Étiennes Armen wieder, und sie wirbelten im Takt der Polka über die Tanzfläche. Sie musste sich auf ihre Füße konzentrieren. Als sie den Schritt endlich beherrschte, war der Tanz vorbei. Er führte sie zurück zur richtigen Seite des Raumes und verbeugte sich höflich. „Danke“, sagte sie.
„Pas de quoi.“ Er wollte gehen.
„Étienne?“
Er drehte sich um.
„Ich hoffe, Sie finden all das, wonach Sie suchen.“
Er wirkte überrascht. „Und Sie auch.“
Aurore wurde von einem älteren Cousin der Familie Gilbeau zum nächsten Tanz gebeten. Anschließend wurde sie von einer ganzen Reihe von jüngeren und älteren Männern aufgefordert, die die Gelegenheit nutzen wollten, mit Ti’Boos Freundin aus New Orleans zu tanzen. Ihre älteren Partner zeigten ihr die traditionellen contredanses , und mit den jüngeren wiegte sie sich im Wechselschritt. Ab und zu traf sie auf die Braut. Ti’Boo tanzte mit jedem Mann aus der Gegend und Minette mit fast genauso vielen.
Im Laufe des Abends hielt Aurore immer wieder Ausschau nach Étienne. Einmal sah sie ihn, als er mit einer jungen Frau einen Squaredance tanzte, aber ansonsten konnte sie ihnim Getümmel nicht entdecken.
Während die Musiker eine Pause machten, nippte sie an einem Glas Punsch und betrachtete verstohlen die anderen Gäste. Plötzlich trat Minette zu ihr. „Es ist ja so aufregend“, flüsterte Minette. „Hinter dem Haus wird es einen Kampf geben. Neben den Stallungen.“
„Was macht jemand zu dieser Zeit noch da draußen?“ „Hahnenkämpfe.“
Aurore wusste, dass Hahnenkämpfe in dieser Gegend nichts Unübliches waren. Tatsächlich gab es auch in New Orleans solche Kämpfe, selbst wenn man versuchte, dem Einhalt zu gebieten. Albert, Ti’Boos jüngster Bruder, hatte sie zu einer Scheune gebracht, um sich Valcours preisgekrönten Vogel anzusehen – einen Hahn mit glänzenden roten Federn, der kämpferisch die Gitterstäbe seines Käfigs attackiert hatte, als Aurore sich vorgebeugt hatte, um das Tier genauer zu betrachten. Doch sie hätte nicht gedacht, dass ein Hahnenkampf ein angemessenes Unterhaltungsprogramm auf einer Hochzeit sein könnte.
„Werden nur Hähne gegeneinander kämpfen oder auch Menschen?“, fragte sie.
„Ganz sicher werden auch Menschen kämpfen. Und ich weiß auch schon, wie wir uns das Spektakel ansehen können.“
Aurore war sich nicht sicher, ob sie dabei sein wollte. Andererseits war sie sich auch nicht sicher, ob sie etwas so herrlich Verbotenes verpassen wollte. Am nächsten Tag würde sie abreisen, und das Leben wäre nicht mehr halb so spannend.
„Ich werde maman erzählen, dass wir Tante Grace in der Küche helfen. Und das werden wir auch tun – kurz.“ Minette zeigte mit Daumen und Zeigefinger einen kleinen Abstand. „Dann werden wir Tante Grace sagen, dass wir die restlichen Kuchen zum Haus bringen wollen. Und das werden wir auch tun … aber erst stellen wir sie beim Wassertank ab und holen sie, nachdem wir uns den Kampf angesehen haben.“
„Und niemand wird Verdacht schöpfen?“
„Nicht einmal, wenn sie miteinander darüber reden. Wir machen ja genau das, was wir gesagt haben – nur eben mit einer kleinen Notlüge im Mittelteil.“
Aurore wusste, dass Clothilde keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung und ihrem Unglück machen würde, wenn sie herausfand, was die beiden vorhatten. Doch Minette fügte noch etwas hinzu, das ein zusätzlicher Anreiz war.
„Ich glaube, Étienne Terrebonne wird kämpfen“, flüsterte sie so leise, dass Aurore sich anstrengen musste, um sie zu hören. „Draußen ist ein Mann, der einmal geschworen hat, sich an
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