Bis zur letzten Luge
es war leicht, meine Mutter und meine Schwester zum Tode zu verurteilen, nicht wahr? Ich bin deinem Urteilsspruch einmal entkommen, aber nur durch die Gnade von le bon Dieu . Jetzt bin ich zurück.“
Endlich ließ Auguste die Maske fallen. „Imbécile! Du Dummkopf! Als ich erfuhr, dass die Terrebonnes einen Jungen gefunden hatten, auf den deine Beschreibung passte, ging ich zu ihnen, um zu sehen, ob du tatsächlich noch immer am Leben warst. Es gab keine Möglichkeit, den Jungen, der mit deiner Mutter zusammen beerdigt worden war, zu identifizieren. Andere waren sich sicher, ich jedoch nicht. Als ich dann sah, dass du überlebt hattest, hätte ich dich hierherbringen und dein Leben eigenhändig beenden können. Aber das tat ich nicht. Ich erzählte den Terrebonnes, dass du jemand anders wärst, jemand, von dem ich sicher wusste, dass er umgekommen war. Ich habe dir ein neues Leben geschenkt!“
„Doch du wirst sicher verstehen, Onkel, dass ich mein altes Leben zurückhaben will.“
„Non! Weißt du, was du bist? Du weißt es nicht, oder?“ Auguste wich nicht länger zurück. Trotz des Messers in Raphaels Hand spuckte er Raphael vor die Füße. „Dein Vater war der Sohn einer Sklavin! Du bist der Bastard eines Mannes, der glaubte, er wäre gut genug, um das Bett mit meiner Schwester zu teilen! Du bist ein Mischling! Die Wahrheit steht dir im Gesicht geschrieben! Das erkennt jeder, der sich die Mühe macht, genauer hinzusehen! Du bist nur als weiß durchgegangen, weil ich dir einen Namen verschafft habe, bei dem niemand auf die Idee kam nachzuhaken. Niemand hätte die Lafonts je bezichtigt, unreines Blut zu haben.“
Aber sie hatten ihn bezichtigt. Raphael konnte sich nur allzu gut daran erinnern. Es hatte Sticheleien gegeben, als er mit den anderen Kindern an den Bayous aufgewachsen war, Beleidigungen und versteckte Anspielungen. Ach Étienne, deine Haut ist so dunkel, dass man meinen könnte, du wärst schon im Mutterleib gebräunt worden. Ach Étienne, deine Haare sind so lockig wie die Wolle des alten Niggers unten am Cross Bayou.
„Sieht mein Blut für dich unrein aus?“, fragte Raphael. Er hielt seinem Onkel den Arm vors Gesicht. „Sieht dein Blut irgendwie anders aus als meines?“
„Warum bist du hierhergekommen?“
„Warum hast du mich am Leben gelassen?“
Auguste holte tief Luft. Raphael konnte hören, wie der Atem durch seine Lunge rasselte. Schweißperlen glitzerten auf Augustes Stirn, obwohl es Abend wurde und damit auch kühlere Luft kam. Raphael hörte, wie er mühsam nach Luft rang. Und noch einmal atmete er schwer durch. So nah vor ihm konnte er sehen, dass die Haut seines Onkels einen ungesunden gelben Ton hatte. „Weil es schon zu viel Tod gegeben hatte“, sagte Auguste.
„So große Worte!“ Raphael umklammerte den Griff seines Messers noch fester.
„Ich werde mich gegen dich wehren!“, donnerte Auguste. „Egal, was du siehst oder was du zu sehen glaubst – ich werde mich gegen dich wehren, wenn du näher kommst!“
Raphael rührte sich nicht. „Träumst du manchmal von Marcelite? Träumst du manchmal von deiner Schwester? Fragst du dich, ob Gott auf deinen Tod wartet, damit er dich für die Sünden bestrafen kann, die du ihr angetan hast?“
„Ich habe keine Träume! Es waren nicht meine Sünden!“ Raphael sah Auguste tief in die Augen und wusste, dass er log. „Deine Träume sind voll von ihr!“ Das Messer fühlte sich warm an. Der Griff war rutschig, weil seine Handflächen schwitzten. „Was ist schlimmer? Der Tod oder die Träume?“
„Geh nach Hause, Raphael! Sei Étienne Lafont, und bau dir ein Leben auf. Das war das Beste, was ich noch für deine Mutter tun konnte.“
„Es war nichts!“ Raphael machte einen Schritt zurück. „Denn ich bin nicht Étienne Lafont. Ich bin Raphael Cantrelle, der Sohn guter Eltern und der Neffe eines Mannes, der bis in alle Ewigkeit in der Hölle schmoren wird.“
Schweiß tropfte von Augustes Stirn. „Lass mich in Ruhe! Ich bin ein kranker Mann. Lass mich in Frieden sterben.“
„Möge Gott dafür sorgen, dass dein Sterben lange dauert, damit du Zeit für viele Gebete hast. Möge Gott dafür sorgen, dass das Erste, was du sehen wirst, wenn du die Augen zum letzten Mal schließt, die lächelnden Gesichter meiner Mutter und meines Vaters sein werden.“
Raphael machte einen Schritt zurück, dann noch einen, ohne Auguste aus den Augen zu lassen. Als Augustes Blick schließlich flackerte, drehte Raphael Cantrelle sich
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