Bisduvergisst
Dröhnen von Motoren, das das Gefühl von Watte in meinen Ohren verdrängt. Lisa, was ist mit dir? Warum kauerst du so bewegungslos auf der Erde? Wir müssen hier weg, Lisa, da kommen Fahrzeuge, vielleicht sind das die Amerikaner, und lieg mir nicht damit in den Ohren, dass ich immer auf die Amis gewartet habe. Was weiß ich, was die mit uns machen, wenn die uns hier finden, verdreckt und durchnässt. Und wo ist überhaupt der Gustav? Ich richte mich auf. Das Fieber ist gesunken. Ich friere, aber das ist nicht schlimm. Mein Kopf ist seltsam frei, als sei er in den letzten Stunden durchsichtig geworden.
Ich drehe ihn einige Male hin und her. Da knackt es in meinen Ohren, und ich spüre, wie sich etwas löst, ich schlucke, würge, presse die Hände an die Schläfen, und dann sind meine Ohren frei. Ich kann wieder hören. Höre die Jeeps, die die Landstraße entlangkommen. Ich lausche auf das Rauschen der Bäume im Wald, auf den Gesang des Windes, das Piepen von zwei Spatzen, die um uns herumhüpfen. Mein Magen knurrt.
Wo zum Teufel ist der Gustav, dieser Halunke, dieser Feigling? Hat sich davongemacht! Er ist ein Mann, will den Amerikanern aus anderen Gründen als ich nicht in die Hände fallen.
Lisa! Ich rufe dich, schüttele dich, rüttle an deiner Schulter. Aber du liegst nur da. Mit dem Gesicht in der Pfütze. Und schläfst.
Ich presse mein rechtes Ohr auf deinen Rücken. Heiß steigt das Fieber wieder in meinen Kopf, verbrennt meine Stirn, bis sie zu bersten droht.
Du bist weggegangen.
Ich kann dich nicht mehr wecken, so wie im Schlafsaal. Die Zeiten sind vorbei, Lisa, ich richte mich auf, diese Zeiten sind unwiederbringlich vorbei, und für dich wird es keine neuen Zeiten geben. Ich werde meinen Amerikaner finden, und vielleicht werde ich ihn auch lieben, aber es wird keine Schokolade geben für dich, keine langen Briefe aus Chicago oder Philadelphia.
Die Jeeps kommen näher. Ich husche in den Wald.
73
Ich habe Lisa Halbwachs umgebracht. Ich habe in einer Nacht im April 1945 – das Datum weiß ich nicht mehr – ihr Gesicht so lange in eine Pfütze gedrückt, bis sie sich nicht mehr gerührt hat. Die Irma hat nichts gemerkt. Sie hatte hohes Fieber und war völlig erschöpft von der langen Strecke. Die Mädchen waren ja vom Lager bis nach Landshut mit dem Rad gefahren.
Ich war der Nachbar von der Irma. Wir wohnten nebeneinander im Landshuter Barackenviertel. Da haben damals die einfachen Leute gewohnt. Wir hatten kein fließendes Wasser im Haus, nur eine Pumpe im Hof, und zum Abort musste man durch den Garten. Das Plumpsklo war eine eiskalte, zugige Bretterbude. Wir haben es mit Irmas Familie geteilt. So war das. Wir hatten nicht mal ein eigenes Klo, meine Mutter, meine Schwester und ich.
Eigentlich haben wir uns gut verstanden. Aber es gab auch mal Ärger und Streit. Und als unsere Väter im Feld geblieben waren, hatten unsere Mütter noch mehr Sorgen und Nöte. Für die Kinder blieb da wenig Zeit. Wir mussten uns selber die Wärme geben, die wir brauchten. Die Irma, die habe ich gern gehabt. Die war ein guter Kamerad. Kein Mädchen. Ein Wildfang, mit der konnte man Pferde stehlen! Aber ihre Freundin Lisa, die war schon eine richtige Frau. Wann immer ich die Lisa gesehen habe, hat sich mein Glied aufgerichtet und ich wollte sie haben. Ich hatte zu der Zeit noch nie mit einem Mädchen was gehabt, aber die Lisa hat mich einfach aufgeregt. Aber sie war die Freundin von der Irma und die beiden haben von früh bis spät zusammengesteckt. Da kam ich an die Lisa nicht ran und hab mich auch nicht richtig getraut.
Eines Tages, im Herbst 1944 war das, habe ich mich auf ein Mädchen gestürzt. Das war die Kleine vom Bauern Miller. Evi hieß die. Die Lisa war so oft bei der Irma zu Besuch und ist mir dann immerzu vor der Nase herumgetanzt, aber ich konnte ja nicht. Und dann war da die Evi. Die war erst 15, aber ich habe sie mir geschnappt. Die Irma und die Lisa, die haben immer über mich gelacht, das machen die Mädchen so, inzwischen weiß ich das, aber ich habe mich zurückgesetzt gefühlt, abgekanzelt, runtergemacht. Deswegen also die Evi. Ich habe die Evi hinter unserer Scheune abgepasst und sie gegen die Scheunenwand gedrückt und ihr den Rock gehoben. Die hat so gut gerochen, die Evi, da wurde ich ganz wild. Es war ein warmer Oktobertag, die Sonne brannte noch richtig um die Mittagszeit. Ich habe die Evi also gehalten, und sie hat gar nichts gesagt, sie hat sich auch nicht gewehrt. Die Evi, haben viele
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