Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
Vom Netzwerk:
zu verlangen. Deutschland, wie die dummfanatische, stets veränderliche Tagesmeinung es versteht, ist nicht Preußen. Wollen wir uns nicht ganz aufgeben, so müssen wir in Rußland den Halt finden, um uns jeder Bevormundung zu entziehen.«
    »Sie wollen doch aber nicht ein Eingreifen Preußens für Frankreich?«
    »O nein, ebensowenig erwarte ich das von Rußland. Kalte Neutralität. Österreich wagte ein hohes Spiel, aber mit Diplomatie allein hält man den Anschein der Macht nicht aufrecht. Ich setzte es neulich Gortschakow auseinander. Karl Buol, der Fürchterliche, nahm sich kecke Schachzüge vor. Er wollte sich mit Frankreich verbinden, um Italien im Zaun zu halten, mit England, um sich der Türkei gegen Rußland zu versichern, und Preußen so einschüchtern mit Benutzung der deutschen Vasallen, daß Rußland isoliert wurde. Doch dessen Demütigung im Krimkrieg gereichte nur Napoleon zum Nutzen, und England tut nichts für irgendwen, wenn es seinen Zweck erreichte. Unsere Macht unterschätzt aber der brave Buol, Folge seiner ethnographischen Unwissenheit.«
    »Ethnographisch? Wie meinen Sie?«
    »Daß kein Staatsmann etwas taugt, der nicht an Ort und Stelle fremde Staaten beobachtete. Buol sollte doch wenigstens auf seine Schwester hören, die männlich kluge Frau v. Meyendorff, doch er beharrt in seinem engen Gesichtskreis, der sozusagen mit St. Pölten aufhört. An dieser madjaro-slawischen Großmacht wird man noch Überraschungen erleben.« Otto sprach sich so offen aus, weil er seine Anschauung in der Petersburger Gesellschaft verbreitet wünschte. »Auch von uns in umgekehrtem Sinne, doch wir sind so langsam methodisch.«
    »Hm, der Russe spannt auch sehr träge an, aber dann jagt er los, bis die Pferde den Hals brechen.«
    »Das werde ich morgen erfahren«, brach Otto ab, indem er sich verabschiedete. »Ich fahre morgen nach Moskau.« –
    Das mußte er gesehen haben, um sich ein richtiges Bild dieser pseudoeuropäischen Großmacht zu bilden. Grüne Dächer, rote und hellblaue Türme mit goldenen Zwiebeln an der Zinne, das Ganze in einen grünen Ton getaucht, daß Otto spöttisch fragte, ob auch die Hühner grün seien, die ihm seine Frühstückseier legten. Alles orientalisch, ein fremder Weltteil. Als die Fürstin Jussupow ihn erinnerte, er habe mit ihr als blutjunger Auskultator in Berlin getanzt bei ihrem Vater, dem russischen Gesandten, mußte er sich gleichsam den Schlaf aus den Augen reiben und in die Ferne schauen, daß dort ein Europa liegt.
    Nicht europäisch mutete auch eine Szene an, die er beim Gouverneur Fürst Dolgoruki erlebte. Ein greiser Subalternbeamter, früherer Unteroffizier, trug das Eiserne Kreuz. Woher er das habe?
    »Von Kulm.« »Gratuliere, ein noch so kerniger Veteran von 1813!« Stramm, mit lauter Stimme, wie für Untergebene im Dienst dies in Rußland üblich, antwortete der Mann: »Auch heut noch zöge ich in den Krieg.« »Gegen wen denn?« »Immer gegen Österreich natürlich.« »Doch das war ja unser Verbündeter bei Kulm, und die Franzosen waren unsere Feinde.« »Lieber ein ehrlicher Feind als ein falscher Freund.« Flugs lagen sich Gouverneur und Muschik in den Armen, küßten sich innig auf beide Wangen und weinten vor Schmerz und vor Freude! Das ist Rußland. Orientalische Sultans- und Paschawirtschaft und orientalische menschliche Natürlichkeit, wüste Tyrannei und wüste Demokratie. Der Padischah kann ja einen Kameltreiber zum Vesir machen, vor ihm sind wir alle Hunde und ... rechtgläubige Brüder. Der orthodoxe Islam. La illa il Allah. Das Leben für Väterchen Zar, und wenn er den Rücken wendet (Zar Nikolaus sagte es offen), ein Dolchstoß! –
    In Peterhof und Oranienbaum, wohin ihn die Großfürstin Helene einlud, eine Gönnerin von Frankfurt her, sah es nun freilich sehr zivilisiert aus. Doch er wurde ein Gefühl völliger Fremdheit nicht los und es zog so eisig vom Meere her, daß es seine ganze Seele durchfröstelte, als zerreiße eine täppische Bärenklaue die Klaviatur seines Innern. Hexenschuß und Rheumatismus fielen ihn an, und er starrte, dick eingewickelt, auf die Wand nach den Photographien Johannas und der Kinder. Das deutsche Heimweh sehnte sich nach einem stillen, bedächtigen Sonntag, weg aus diesem Fieberleben der großen Welt. Falschheit und selber törichte Leidenschaften unterwerfen sich mit rastlosem Hämmern die allgemeine Unvernunft. Und wenn man selber mitklopft, verrenkt man sich den Arm, daß einem der Atem ausgeht. Mit Gottes

Weitere Kostenlose Bücher