Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
Vom Netzwerk:
hinabspülen. Dies war wirklich die große Welt im Salonsinn des Wortes, und es berührte eigenartig, in einem halbasiatischen Barbarenland die höhere Gesellschaft äußerlich auf dem Gipfel abgeschliffener Kultur zu finden. Die Sitten im Umgang und oft auch der geistige Verkehrston viel vornehmer als in Paris, London und Wien, ein Übergang zur feineren Gesellschaft Berlins in den Tagen Humboldts und Varnhagens und selbst noch späterhin, dabei aber ohne die Ärmlichkeit und Kleinigkeit des allzu knappen preußischen Zuschnitts.
    Der Zar, ein schöner würdevoller Mann mit einem etwas melancholischen Zug im Gesicht, bewillkommte den neuen Gesandten wie den Boten eines liebsten Freundes, und erkundigte sich mit warmer Herzlichkeit nach dem Befinden seines Onkels. Die preußische Zarin-Witwe Charlotte verwirrte anfangs durch ihr majestätisches Aussehen, entfaltete aber die Leichtigkeit und Urbanität einer sehr hohen Dame. Sie und ihre Schwiegertochter, eine Darmstädter Prinzessin, also durchaus nicht preußenfreundlich erzogen, überboten sich in Gnadenbeweisen für Preußens Vertreter. Und die hohe russische Gesellschaft steckte ihr wohlwollendes Lächeln auf.
    »Ihr lieben Freunde werdet doch den Hunden von Österreichern nicht den Rücken decken?« polterte ein angezechter General. ›Hunde‹ ist viel zu schmeichelhaft für die Kanaille, kein guter Hund nimmt ein Stück Brot von solchen räudigen Biestern.«
    »Bravo, ein echtrussischer Mann!« lobten verschiedene Damen. Otto mußte sich erst an das freie und doch stolze Betragen vornehmer Russinnen gewöhnen, die über alles mitsprachen und weit sicherer sich bewegten als ähnliche Deutsche Damen. Man merkte, daß bei den Russen und Polen die Frau mehr oder minder regiert, an Intelligenz und Charakter den meist plumpen und schwerfälligen Männern überlegen. »Ja, die Österreicher sind bei uns unten durch«, bekräftigte die Fürstin Wolkonski.
    »Pst, Gnädigste, Graf Szecheny geht vorbei und könnte solche Worte auffangen.«
    »Mag er. Der arme Mann tut mir leid, ihn hat man nicht ungern, doch er wird bald seine Pässe fordern. Die falschen Verräter! Sie Preußen haben ja auch ein Lied davon zu singen.«
    »Jetzt sollen sie's uns bezahlen, wie schmählich sie sich im Krimkrieg aufgeführt«, rief die Fürstin Orlof. »Wir werden ihnen mit dem Bajonett in den Rücken fallen, wie sie uns vor fünf Jahren. O, wir werden ihnen ans Leben kommen!«
    Der maßlose Haß durfte sich offen aussprechen, man nahm offiziell daran keinen Anstoß. Sogar der Zar machte aus seinem Abscheu kein Hehl.
    »Sie suchen zu beschwichtigen, mein lieber Gesandter, das ist Ihre amtliche Pflicht«, lehnte er einige begütigende Reden Ottos ab. »Aber das Maß ist voll. Sie sehen, wie gern Sie hier gesehen sind. Rußland liebt Preußen brüderlich. Aber Rußland ist schrecklich in seinem Zorn, und die perfide Wiener Politik reizt uns bis aufs Blut.«
    Die Zarewna-Witwe sprach sich noch bitterer aus. »Dieser Habsburger hat meinem Gemahl das Herz gebrochen, der ihn liebte wie einen leiblichen Sohn ... und mehr«, fügte sie halblaut dazu, »denn der Zarewitsch schien ihm nicht geeignet, politisch in seine Fußstapfen zu treten. Mein Sohn, der Zar, hat andere Ideen als sein Vater. Er nähert sich mehr der westlichen Kultur. Der hohe ideale Schwung des in Gott ruhenden Selbstherrschers schätzte andere nach seiner eigenen Ritterlichkeit ein und liebte in Franz Josef den Erben seiner Anschauung, den Sohn seines Geistes. Was tat er nicht für diesen jungen Monarchen, dem er den schon verlorenen Thron zurückschenkte! Für ihn überwarf er sich beinahe mit meinem Bruder, Ihrem allergnädigsten Herrn. Nein, solcher Undank ward noch nie erlebt. Mein Gatte starb daran, seine ideale Seele konnte das Herzeleid nicht ertragen, doch der Strafe Gottes verfällt, wer so meuchlerisch zielte nach dem edelsten Leben.«
    Otto sann darüber nach, als er mit seinem Troikaschlitten nach Hause fuhr, wie doch jede Partei an ihren Idealismus glaubt. Dieser furchtbare eiserne Despot hatte sich selbst überzeugt, daß er ein Gott wohlgefälliges, erhabenes Werk vollführe, wenn er Österreich und Deutschland mit starren Klammern an Rußland binde und die heilige Allianz der legitimen Monarchien gegen die Revolution und die westliche Kultur erneuere. Die Trias Rußland-Österreich-Preußen sollte natürlich unter russischer Bevormundung stehen, und es erschien ihm ein Frevel, Auflehnung wider die göttliche

Weitere Kostenlose Bücher