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Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Weltordnung, daß Österreich, in seiner eigentümlichen Lage Rußland ebenso fürchtend wie Preußen, auf eigenen Füßen stehen wollte. Setzt man sich an des anderen Stelle, wird manche »Schlechtigkeit« verständlich und entschuldbar. Weil aber jeder nichts sieht als den eigenen Vorteil, erkennt man nicht die Lächerlichkeit moralischer Maßstäbe. Alle sind gleich schuldig oder unschuldig. Wer die damalige Wiener Politik verurteilt, an sich mit Recht, weil sie mit allen Mitteln ihre Nachbarn hinterging und schädigte, der hat kein Augenmaß für die gefährdete Lage eines zusammengewürfelten Reiches, das mit einem Fuß in Italien, mit dem anderen in Deutschland stand und seine Arme weit ins östliche Slawentum streckte und hierbei überall auf Nebenbuhler stieß.
    Er erwartete den Prinzen Croy als ersten Sekretär, aber hatte auch am Hofrat v. Schlözer eine bemerkenswerte Kraft. Johannas Briefe stimmten ihn wehmütig, aus denen der herrliche Taunusfrühling wehte, indessen hier das Eis der Newa und das steinerne Eis der Häusermasse am Newski-Prospekt ihn immer noch winterlich beklemmten. Mit seinem alten Bekannten Gortschakow, der jetzt eine leitende staatsmännische Stellung einnahm, mußte er täglich konferieren. Die Telegraphen knatterten ununterbrochen über Europa, als ob sich die Gewitterschwüle darin elektrisch entladen wolle, doch das Kriegsungewitter zog immer näher.
    »Wie schade, daß eine so achtenswerte Nation wie die deutsche so wenig eigenen Willen hat oder vielmehr«, verbesserte Gortschakow sich hastig, denn ein eigener Wille der deutschen Nation paßte ihm durchaus nicht, »so wenig willensstarke Persönlichkeiten! Ich sehe Ihnen die Verstimmung an, werter Freund. Will man in Berlin nicht vernünftig werden?«
    Otto zuckte die Achseln. »Wir treiben so hin auf ziemlich schmutzigen Wassern, und die Winde, die uns hin und her blasen, riechen auch übel, obschon sie aus der Fremde kommen, was wir stets besonders hochschätzen.«
    »Ach, da wäre am Ende gut, wenn mal eine ausländische tüchtige Faust das Treibholz auflese und in den rechten Kanal bugsierte!« Gortschakow lächelte verschmitzt, als würge er an irgendeinem tiefgründigen diplomatischen Geheimnis. Doch Otto kannte ihn ja und wußte, daß nichts dahinter stak. »Stellen Sie sich vor, daß die englische Gesandtschaft diesen Monat schon 4000 Rubel Telegraphenkosten hatte!«
    »Warum so eifrig! Der Zar will doch den Frieden, um seine Reformen nicht stören zu lassen. Man ist sehr böse auf Österreich, doch wird es dabei bewenden lassen.«
    »Meinen Sie? Wenn nun die Weißröcke a tout prix va banque spielen wollen? Das Pulver wird schon brennen, die Türkei regt sich auch, wir sammeln ein Heer bei Kiew.« Otto dachte: Wer's glaubt! »Das war doch neulich originell beim Begräbnis des alten Hohenlohe, wie wir uns auf den Samtteppich des Katafalk setzten und politisierten. So zwei eifrige wie uns findet man kaum wieder.«
    »Die Predigt handelte von der Vergänglichkeit, dem Gras, das dorrt, und wir droschen Stroh, als müsse unsereiner nicht geradeso verrecken wie der Muschik, der Heu mäht.«
    »Da ist doch wohl ein Unterschied«, machte Gortschakow empfindlich. »Übrigens vergessen Sie nicht, morgen ist Namensfest der Kaiserin-Witwe in Zarskoje-Selo, unserem Potsdam. Die große Parade wird Sie freuen, da schauen Sie die wildesten Völker, Tscherkessen, Kalmücken, Tartaren.« Mit denen man am liebsten zum Tartarus abführe. Gnade Gott Europa, wenn diese Bestien mit der Kosakenpeitsche losgelassen werden! »Haben Sie noch keine Zusage aus Berlin, daß Sie zum Major befördert werden? Mit der Leutnantsuniform geht's wirklich nicht, bei uns hier richtet sich alles nach der militärischen Charge, und Sie könnten nach der Hofetikette sich viel unauffälliger dem Zaren nähern.«
    »Ich weiß. Doch bei uns geht alles nach Schema, Edwin Manteuffel wird als Vorsteher des Militärkabinetts wohl dienstliche Bedenken äußern. Ich bleibe Exzellenz Leutnant. Qu'importe! Zu meinem Dienst bin ich nicht hier.«
    Kein Wort Deutsch! Oben alles Französisch, unten barbarische Zwitscherlaute. Und was er Deutsch zu lesen bekam, war auch nicht bekömmlich. Das neue Witzblatt Kladderadatsch führte ihn als stehend komische Figur eines bösen Mannes ein und zitierte einen glühenden Franzosentoast, den er bei Bethmann-Hollweg gehalten haben sollte. Österreich streckte eben seine alten Fühlhörner aus und machte ihn schlecht in der Berliner

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