Bismarck 04
pensionsberechtigten Oberförster. Wenn Eulenburg das ganze Bismarckhaus amusisch nennt, so erzählte uns Björnson, daß ihm Bismarck sagte: er habe zum Lesen höherer Literatur keine Zeit, amüsiere sich nur mit Kriminalromanen wie einen von Gaboriau, den er Björnson schenkte und den dieser uns mit Geringschätzung des »ungebildeten Knoten« übergab. Jawohl, so war der Leser von Stindes Buchholzen und einstiger Kenner Shakesspeares, Byrons, Goethes vom praktischen Leben verunziert. Der pfiffige Bäckermeister, den A. v. Werners Kongreßbild vorführt, bleibt schreiend unähnlich, doch Lenbachs Wotan mit dem Schlapphut entsprach mehr der Idee Bismarck, in großem Augenblick des Großen vom großen Künstlerblick erfaßt, als ständiger Wirklichkeit des 11 Eier zum Frühstück Verschlingenden und dabei Staatsanwaltformulare gegen Reichskanzlerbeleidigungen emsig Unterzeichnenden. Da mochten Mißgünstige ihn wohl als barbarischen Oger malen. Wir verhehlen nicht, daß sein Widerwille gegen Friedrichs des Großen »Ruhmsucht« (unglaubliches Unverständnis des so bescheidenen Größeren) zu denken gibt. Derlei traurige Reste des Allzumenschlichen darf man so wenig in den Vordergrund rücken, wie es Kleingeister auch für Napoleon besorgen. Doch solche Pietät ziemt sich nicht vor Persönlichkeiten kleinen Wuchses. Der Vernunftsmonarchist will nur unbalanzierte Schmähungen Wilhelms II. ablehnen, doch damit basta.
Tendenziöse Reinwaschung bringt ebenso in Harnisch wie Demokratenlegende, er sei wie ein Fatzke drauflos gegondelt, eine gewisse Klugheit fehlte seiner romantischen Politik keineswegs. Schuf er gewiß nicht den unerhörten Aufschwung der Industrie, so blieb er doch Anreger und wir bedurften der von ihm beharrlich erstrebten maritimen Macht zur Deckung des Seehandels und der Küsten. Die heutigen Schreier gegen die Flottenpolitik gleichen jenen Rückschrittlern, die Bismarck den Größenkitzel austreiben wollten, verkennen die Nötigung dazu, wie der Weltkrieg sie offenbarte, auf die Gefahr hin, England schwer zu reizen, dessen übertriebene Empfindlichkeit sich erst recht gegen die amerikanische Seegeltung richten konnte. Wenn Seemacht allein Weltmacht bedeutet, wie die englische Mahan-Schule doch selber lehrte, wie durfte man deutschen Aufstieg verpönen, da doch der Zweimächte-Standard bis zuletzt bewahrt blieb und höchstens Vereinigung der deutschen und amerikanischen Flotte ihn hätte bedrohen können. Doch sein lobenswertes Streben verdarb Wilhelm stets durch Übermaß. Konnte England den tollen Einfall je verzeihen, während des Burenkriegs eine deutsch-russisch-französische Koalition wachzurufen? Seine Versuche, Frankreich zu schmeicheln, verrieten die gleiche Weltenkunde wie seine Beglückung Amerikas mit der Büste Friedrichs d. Gr., dessen unergründliche historische Unwissenheit in der Rede eines Senators ausklang, Rückerts Kyffhäuserlied drohe mit einem »obscuren mittelalterlichen Tyrannen«! Daß Friedrich zuerst die Unabhängigkeit und Bismarck zuerst die von England und Frankreich befehdete Union im Bürgerkrieg anerkannten, vergaß man lange. Der kaiserliche Romantiker »brauchte Sonne«, alles Unliebsame enthielt man ihm vor; ob der »überzeugte Optimist« es heut noch ist? Den Weltkrieg wünschte er nie, doch so perfid das Kautskybuch sich dem unbedingten Angriffswillen der Entente verschließt, kann man sich dem Eindruck nicht entziehen, daß dynastische Wut gegen die Serbischen »Königsmörder« jede kalte Überlegung raubte. Beileid versagen wir ihm nicht, doch daß er uns ins Ungewisse steuerte, dafür schulden wir ihm nicht dankbare Anhänglichkeit.
VI.
»Freiheit, wie viel Verbrechen begeht man in Deinem Namen!« Doch »Freiheit, die ich meine« ist keine Kalenderheilige. »Ich bete in mir die Diktatur des Volkes an« drückte Marat einfach des Absolutisten »der Staat bin ich« aus. Freiheitsstatuen gleichen hohlen Pappegehäusen voll abgefeiltem Sägemehl mit rotem goldenen schwarzrotgoldenem Anstrich und Gleichheit war nie Postulat der Notwendigkeit. Die Pappeumwallung der Luftschlösser braucht man nicht mit scharfen Patronen zu beschießen. Wirklich besteht ein ewiges Lohngesetz, weil jede Wirtschaftstheorie auf eine Formel einschrumpft: Nationalgüter sind gleich der Zahl organisierter Arbeitskräfte. Wer sie gut organisiert, ob monarchisch oder republikanisch, der allein veranstaltet keine Schmierenkomödie, bloße Verstaatlichung der Arbeit (Zwangssozialismus)
Weitere Kostenlose Bücher