Bismarck 04
für Hebbels verfehlte Nibelungen entsprang bloßer dynastischer Deutschthümelei, ebenso hohl und kunstfremd, wie wenn er Herzogs Condotiere-Tamtam »Shakespearisch« nannte und sich aus politischen Gründen für Schönherrs ödes, der »Handel-Mazetti« nachempfundenes »Glaube und Heimat« erwärmte oder die dramatischen Böllerschüsse des Major Lauff kommandierte, dessen gutes Romantalent er durch seine unheilvolle Gunst verdächtig machte. Hat sein Deutschgefühl je Dankbarkeit für Wagners Genius gezeigt? Hatte er je gesunden Blick für Echtes, selbst wo es ihm nahe lag? Das sind nicht bloß Schwächen des Intellekts, sondern auch des Charakters. Seine Oberflächlichkeit ging nie in die Tiefe. Daß unsere Zukunft auf dem Wasser liege, war nur hochtrabender Einfall des Machtfimmels. Tragödie des Idealismus? Wir kennen solche schönen Gesten übergeschnappten Machtgefühls, dem nur das Zeitalter römischer Cäsaren fehlte. Nicht dem Edelsinn, sondern dem Mangel an gefaßtem Mut entsprang die Krise, wo Hindenburg als treue Amme den königlichen Säugling in die Windeln wickelte. Wir geben zu, daß die Flucht nach Holland mit sehr mildernden Umständen gedeutet werden kann, wobei Hindenburg – peinlich ist's zu sagen – um so mehr versagte, als der Kronprinz mit äußerster Energie sich gegen willenloses Verzagen auflehnte. Allgemeine Panik log damals dem hier beklagenswerten Kaiser viel vor. Sicher bleibt aber, daß die Armee es als bängliche Desertion auffassen mußte. Daß die Arbeiterräte durch Sperrung der Rheinbrücken dem Heer die Verpflegung entzogen, gehört mit zu den aufgeregten Gerüchten maßloser Übertreibung. Über die vaterlandslose Haltung der damaligen Arbeitermassen kann die Verdammung nicht scharf genug lauten, doch das feige Kuschen der Behörden und des Bürgertums erleichterten es. In letzter Instanz tragen die Deutschen, ausgenommen ihr edles Frontheer, selber die Schuld an so schmählichen Untergang, davon ist der Kaiser freizusprechen. Doch sein bombastisches Wesen, seine schwächliche Impulsivität schufen mit die Vorbedingung, daß Byzantismus und Größenwahn der Nation in charakterlosen Abfall von angebetenen Göttern zerbröckelten. Daß er nur ein unbedeutender Narr gewesen sei, behaupten freilich nur blinde Narren, doch wenn ein ziemlich Begabter sich als historische Größe träumt, stellen sich verhängnisvolle Folgen von selber ein. Daß Bismarck selbst zur Selbstüberschätzung des Prinzen viel beitrug, weil er ihn gegen seine Eltern aufzüchtete, gehört zur Ironie des Schicksals. Der Bramarbas fiel immer aus den Wolken, daher die aus Angst und Wut gemischten pöbelhaften Marginalglossen vor Kriegsbeginn.
Mißverstandene Königs- und Mannentreue wird oft atavistischer Götzen- und Fetischkult. Gern möchten wir abschwächen und beschönigen, wenn es sich mit strenger Gerechtigkeit vertrüge. Doch wenn der monarchische Gedanke sich nur dadurch bewähren kann, daß man das Spiegelbild des Pseudogenialen, das den Genialen abstößt wie Gebärdenspiel eines Schimpansen den homo sapiens , und dieses krankhaften Egoisten, dessen eitle Kleinlichkeit den Kaiserfilm seines früheren Günstlings Bonn mit Klagedrohung verfolgte, fälschend veredelt, dann danken wir für solche Neuauflage der alten Schmeichellegende von Interessenmonarchisten. Der Vernunftsmonarchist begrüßt es, daß politische Schriftübungen des »Königs in Exil« ein abgeklärteres Gepräge tragen als einstige Entgleisungen. Doch wenn er sich als Muster bescheidener Zurückhaltung eines konstitutionellen Herrschers preist, wer lacht da! Man denke an burschikose Abfertigung des »Zivilkanzlers«, als Bethmann untertänigst vor Kriegsbeginn Ratschläge erteilte. Freilich darf man problematische Naturen nicht einseitig abschätzen, nicht so den Stab brechen, als seien hier nur Unfähigkeit und Größenwahn zu Roß erschienen. Derlei erinnert an das Zerrbild, das alle Bismarckfeinde entwarfen. Indessen sei hier offen gestanden, daß wir aus wohlerwogenen Gründen auf Darstellung des späteren Bismarcklebens verzichteten. Denn abgesehen von den innerpolitischen Mißgriffen enthält das letzte Ausleben des Allmächtigen leider viele seinem Andenken nicht förderliche Züge. Uns sind nicht nur die Akten des Prozeß Diest-Daber in Sachen Bleichröder bekannt geworden, sondern zwei Annekdoten aus Zeugenmund, die auf seine privaten Geschäftsmanieren ein noch peinlicheres Licht werfen als sein Prozeß mit seinem
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