Bismarck 04
beschränkter Untertanenverstand! Der Sonnenkönig ließ sich abends geduldig langweilige Verse vom greisen Corneille vorlesen, unser Kaiser, König und Herr schmatzte Ganghofers Jägerlatein. Daß er sich heute mit Rückberufung schmeichelt, zeigt nur den Tiefpunkt der Republikverachtung. Die hohe Begabung, welche viele Ausländer und heimische Byzantiner bei ihm entdeckten, beruht auf der Scheinperspektive, die eine lebhafte Regsamkeit, wie er sie von beiden Eltern erbte, mit Schöpferischem verwechselt. Bei den Kaisermanövern, deren Liebedienerei geradezu vergiftenden Einfluß übte, trat auch seine militärische Unzulänglichkeit zu Tage: Aufgeputzte bemalte Scheinerfolge.
Seine angebliche Milde nahm man wohl selten in seinem Auge wahr. Liebhaberei für Treibjagden und Gutherzigkeit! Als sein Intimus Eulenburg, dessen Memoiren ihn politisch rehabilitierten, in der Patsche saß, beugte er sich mut- und treulos jener inszenierten Holstein-Harden-Hetze nebst dem künstlichen Advokatenkniff der haltlosen Meineidsklage, die den einzigen hochgebildeten Berater wegen so weit verbreiteter Privatverfehlung von ihm entfernten. Auch sein Betragen bei Bülows Entlassung (wieder ein Unglück, da Bülows Schwächen ihn nicht seiner Geschicklichkeit beraubten) zeugt nicht von treuem Edelsinn, sondern von nachtragender Rachsucht wegen der Daily Telegraph-Intrige, bei der sich der Wouldbe-Autokrat wieder zu demütiger Kapitulation bequemte. Unvornehmeres als der Uriasbrief an Franz Joseph bei Bismarcks Wiener Besuch kann man sich nicht denken. Wenn er sich manchmal im Privatverkehr freundlich und schlicht gab (das bekräftigen wir, damit wird aber sein öfter brutales Benehmen nicht vermindert), so begreifen eben Unkundige nicht, daß er ein Schauspielertalent besaß, das zu »diesem verdammten Metier« gehört, wie Friedrich der Große es nannte. So erklärt sich, daß wir seinen vorübergehend glänzenden Eindruck auch auf uns Nahestehende bestätigen können. Wir bestreiten nicht, daß er vom Vater ererbte liebenswürdige Gemütsseiten hervorkehren konnte, je nach Belieben der Laune. Man hat vor Augen, wie man alles, was ein allmächtiger Kaiser von sich gibt, zu seinen Gunsten zurechtdreht, in der Behauptung, er habe recht wohl unangenehme Wahrheit ertragen können. Warum? Weil Moltke erzählt, er habe vor Übernahme der Generalstabsgeschäfte seinem Gönner über die Kaisermanöver derbe die Wahrheit gesagt, dieser habe es gütig aufgenommen und Besserung gelobt. Abgesehen davon, daß trotzdem keine wirkliche Änderung eintrat und daß Moltkes »Erinnerungen« ein Interesse daran hatten, sein Sträuben gegen den verantwortlichen Posten möglichst breitzutreten (man färbt oft untertänige Andeutung in deutliche Vorstellung um) – abgesehen von der kindlichen Naivität, notgedrungene Streberei der Hofgenerale nicht bemerkt haben zu wollen, während jede Kritik Berufener mit Kaltstellung endete, vergl. auch den Fall Kretschmann in Lilli Brauns Memoiren – hat nicht vielleicht wie bei Bülows jäher Absägung Wilhelms Gedächtnis jene seine Größe kränkenden Äußerungen behalten und bei unerhört brüsker Absetzung Moltkes mitgewirkt? Gewiß läßt sich Kohn-Ludwigs gehässiger Anwurf, der Kriegsherr sei für alle militärischen Fehler verantwortlich, nicht belegen, obschon wir im Fall Hentsch nicht klar sehen, im Gegenteil bekannte er durch Passivität seine militärische Ohnmacht. Doch umgekehrt wird die Behauptung, der Marnerückzug sei gegen kaiserlichen Befehl erfolgt – also auch hier Willensschwäche und Mangel an Autorität bei einem so gottesgnadenfrohen Autokraten – erst recht sinnlos, weil der Mohrenwäscher die alte Lüge von Moltkes Schuld aufwärmt. Also man hätte den Rückzugsskandal gewagt gegen ausdrückliche Willensmeinung des Monarchen? Er befahl, »immerfort anzugreifen und keinen Schritt zu weichen?« Ha, welch tiefsinnige Einsicht, wäre er doch sein eigener Stabschef gewesen! Natürlich nur eine jener leeren Redensarten wie seine gepriesenen feuilletonistischen Schlagworte, denn solche Losung hätte nur dann einen Wert, wenn sie aus Kenntnis der Lage hervorgeht, was bei dem Weilen weit hinter der Front ganz wegfiel, sonst bleibt es inhaltloses Geschwätz.
Sein kirchlicher Biereifer mit biblischen Vorlesungen, ist's unbewußte Heuchelei oder jene Unreife, wie sie sein Aufsatz über Hamurabi, Wilhelm d. Gr. und seine Handlanger so schülerhaft enthüllte? Seine Vorliebe für Wagners Stoffe und
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