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Bis(s) 1 - Bis(s) zum Morgengrauen

Bis(s) 1 - Bis(s) zum Morgengrauen

Titel: Bis(s) 1 - Bis(s) zum Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephenie Meyer
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verwehrt, da er es nicht riskieren konnte, jemandem zu nahe zu kommen.
    Als die Grippeepidemie sich ausbreitete, arbeitete er nachts in einem Krankenhaus in Chicago. Seit Jahren geisterte ihm eine Idee durch den Kopf, und er war kurz davor, sie umzusetzen: Wenn er keinen Gefährten finden konnte, würde er sich einen schaffen. Er zögerte noch, weil er sich nicht völlig sicher war, wie seine eigene Verwandlung vonstattengegangen war. Außerdem verabscheute er die Vorstellung, jemandem das Leben zu nehmen, so wie man ihm seines genommen hatte. Und dann stieß er auf mich. Ich lag gemeinsam mit anderen Sterbenden auf der Station der hoffnungslosen Fälle. Er hatte meine Eltern gepflegt und wusste, dass ich keine Angehörigen hatte. Also entschied er sich, es zu versuchen …«
    Edward hatte zuletzt nur noch geflüstert; jetzt verstummte er ganz und starrte mit leerem Blick aus dem Fenster. Ich fragte mich, ob er mit den Gedanken bei Carlisles oder seinen eigenen Erinnerungen war. Schweigend wartete ich.
    Als er sich wieder zu mir umwandte, erhellte ein zärtliches, engelhaftes Lächeln sein Gesicht.
    »Und damit sind wir wieder in der Gegenwart«, sagte er abschließend.
    »Und seitdem bist du immer bei Carlisle gewesen?«
    »Fast immer.« Er legte seine Hand an meine Hüfte und schob mich sanft zur Tür hinaus. Ich warf einen letzten Blick auf die Bilder und fragte mich, ob ich jemals die anderen Geschichten hören würde.
    Wir liefen den Gang entlang; als Edward nichts weiter sagte, fragte ich: »Fast immer?«
    Er seufzte, dann antwortete er widerwillig: »Also, ungefähr zehn Jahre nach meiner … Geburt … Verwandlung – wie auch immer du es nennen willst – hatte ich eine typische Phase jugendlicher Rebellion. Ich kam mit seiner Abstinenz-Philosophie nicht klar und war wütend, dass er meinen Appetit zügelte. Also ging ich eine Zeit lang meiner eigenen Wege.«
    »Wirklich?« Ich war eher fasziniert als ängstlich, wie es vielleicht normal gewesen wäre.
    Das blieb Edward natürlich nicht verborgen. Wir gingen weiter nach oben, aber ich achtete kaum auf meine Umgebung.
    »Du bist nicht angewidert?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Ich finde, es klingt … einleuchtend.«
    Er lachte auf. Mittlerweile standen wir in einem weiteren vertäfelten Korridor.
    »Vom Zeitpunkt meiner Neugeburt an«, sagte er leise, »wusste ich, was jeder in meiner Nähe, ob Mensch oder Monster, dachte. Das war der Grund, warum es zehn Jahre dauerte, bis ich mich Carlisle widersetzte – ich kannte seine absolute Aufrichtigkeit und verstand ganz genau, warum er so lebte.
    Aber nach wenigen Jahren kehrte ich zu ihm zurück und lebte wieder ganz nach seiner Philosophie. Ich hatte gedacht, ich wäre immun gegen die … seelischen Qualen, die mit einem belasteten Gewissen einhergehen. Wenn ich die Gedanken meiner Opfer kannte, dann konnte ich schließlich die Unschuldigen verschonen und nur die Bösen verfolgen. Was war denn so schlimm daran, dachte ich, wenn ich einem Mörder in eine dunkle Gasse folgte und ein junges Mädchen vor ihm rettete?«
    Ich erschauderte; ich konnte mir die Situation – die nächtliche Gasse, das verängstigte Mädchen, die finstere Gestalt auf ihren Fersen und Edward, schrecklich und schön wie ein junger Gott, unaufhaltsam in seinem Jagdinstinkt – nur zu gut vorstellen. Ob es wohl dankbar gewesen war, dieses Mädchen, oder noch verängstigter als zuvor?
    »Doch mit der Zeit erkannte ich immer deutlicher das Monster in mir – es schaute mich aus meinen eigenen Augen an. Ich konnte der Verantwortung für all die Menschenleben nicht entfliehen. Also ging ich zurück zu Carlisle und Esme, und sie nahmen mich auf wie einen verlorenen Sohn. Es war mehr, als ich verdient hatte.«
    Wir waren vor der letzten Tür im Gang stehen geblieben.
    »Mein Zimmer«, sagte er, öffnete die Tür und zog mich hinein.
    Es war ein Südzimmer, und auch hier war die Außenwand komplett verglast – wie wahrscheinlich die gesamte Rückseite des Hauses. Man blickte hinab auf den Sol Duc River, der sich durch den unberührten Wald von der Gipfelkette der Olympic Mountains herunterschlängelte. Die Berge waren viel näher, als ich geglaubt hätte.
    Die Wand rechts vom Fenster war komplett mit CD -Regalen bedeckt, die besser bestückt waren als manch ein Musikgeschäft. In der Ecke stand eine dieser High-End-Musikanlagen, die ich niemals anfassen würde, aus Angst, etwas kaputt zu machen. Es gab kein Bett, nur ein breites und

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