Bis(s) 1 - Bis(s) zum Morgengrauen
von uns so.
Die Leute fanden sich mit Mistgabeln und Fackeln bewaffnet zusammen – wie man sich das so vorstellt.« Als er jetzt auflachte, klang es düsterer als vorher. »So begaben sie sich zu der Stelle, wo Carlisle die Vampire gesehen hatte. Und irgendwann kam einer hervor.«
Er sprach so leise, dass ich mich anstrengen musste, um ihn zu verstehen.
»Er muss uralt gewesen sein, und schwach vor Hunger. Carlisle hörte, wie er den anderen auf Latein etwas zurief, als er den Mob roch. Dann rannte er durch die Straßen davon, und Carlisle – er war 23 Jahre alt und schnell – führte die Verfolgung an. Die Kreatur hätte die Verfolger leicht abschütteln können, doch Carlisle meint, dass er wohl zu hungrig war – jedenfalls blieb er stehen und griff an. Zuerst fiel er über Carlisle her, aber da die anderen direkt hinter ihm waren, ließ er wieder von ihm ab, um sich zu verteidigen. Er tötete zwei Männer und schleppte einen dritten mit sich fort. Carlisle blieb blutend auf der Straße zurück.«
Er hielt inne. Ich spürte, dass er absichtlich etwas ausließ.
»Carlisle wusste, was sein Vater anordnen würde: die Verbrennung der Körper. Alles, was mit dem Monster in Berührung gekommen war, musste zerstört werden. Instinktiv versuchte er sein Leben zu retten. Während der Mob den Vampir und sein Opfer verfolgte, schleppte er sich von der Straße und versteckte sich in einem Keller. Drei Tage verharrte er dort, vergraben unter einem Berg fauliger Kartoffeln. Es grenzt an ein Wunder, dass er es schaffte, sich still zu verhalten und nicht entdeckt zu werden.
Und dann war es vorüber, und er erkannte, was aus ihm geworden war.«
Verriet mein Gesicht irgendetwas? Jedenfalls unterbrach Edward die Erzählung an dieser Stelle. »Wie fühlst du dich?«, fragte er.
»Mir geht’s gut«, versicherte ich ihm. Ich biss mir auf die Lippen, um nicht allzu neugierig zu erscheinen, doch meine Augen verrieten mich.
Er lachte. »Ich nehm mal an, du hast noch ein paar Fragen?«
»Ein paar.«
Sein Lächeln wurde breiter und entblößte seine blitzenden Zähne. Dann nahm er meine Hand. »Na dann los«, sagte er. »Ich zeig dir alles.«
C arlisles Geschichte
Wir liefen den Gang zurück und blieben vor der Tür von Carlisles Büro stehen.
Einen Moment später hörten wir dessen Stimme: »Herein.«
Edward öffnete die Tür, und wir betraten ein hohes Zimmer mit großen Fenstern, die nach Westen hinausgingen. Die Wände waren auch hier vertäfelt, allerdings mit einem dunkleren Holz – zumindest, soweit man das sehen konnte, denn der Großteil der Wandfläche wurde von enormen Bücherregalen verdeckt, die mir hoch über den Kopf ragten und mehr Bücher enthielten, als ich je außerhalb einer Bibliothek gesehen hatte.
Carlisle saß hinter einem Mahagoni-Schreibtisch in einem Ledersessel und legte gerade ein Lesezeichen zwischen die Seiten eines gewichtigen Bandes. Das Zimmer war genauso, wie ich mir immer das Büro eines Universitätsrektors vorgestellt hatte; nur Carlisle sah zu jung aus, um ins Bild zu passen.
»Was kann ich für euch tun?«, fragte er freundlich und erhob sich.
»Ich wollte Bella etwas von unserer Geschichte zeigen«, sagte Edward. »Genauer gesagt, deiner Geschichte.«
»Wir hoffen, wir stören nicht«, sagte ich entschuldigend.
»Überhaupt nicht. Wo wollt ihr beginnen?«
»London«, erwiderte Edward. Er legte mir eine Hand auf die Schulter und drehte mich zur Tür herum. Jedes Mal, wenn er mich berührte, und war es auch noch so beiläufig, begann mein Herz hörbar laut zu pochen, was in Carlisles Anwesenheit besonders peinlich war.
Die Wand, vor der wir standen, war nicht mit Bücherregalen, dafür aber mit gerahmten Bildern jeder Größe bedeckt, manche in leuchtenden Farben, andere eher blass und monochrom. Ich versuchte, die Logik der Sammlung, ihr verbindendes Element zu ergründen, konnte aber auf den ersten Blick keines erkennen.
Edward zog mich nach links und deutete auf ein kleines, quadratisches Ölbild in einem schlichten Holzrahmen, das zwischen den größeren und farbenfroheren Gemälden nicht weiter auffiel. Es war eine Stadtansicht in unterschiedlichen Sepiatönen: ein Meer von Häusern mit spitzen Dächern, ein paar Turmspitzen und, im Vordergrund, ein breiter Fluss, über den eine Brücke mit kleinen Aufbauten führte, die aussahen wie Miniaturkathedralen.
»Das ist London um 1630 «, sagte Edward.
»Das London meiner Jugend«, fügte Carlisle hinzu, der plötzlich
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