Bis(s) 1 - Bis(s) zum Morgengrauen
her und starrte an die Wand – dreieinhalb Stunden lang. Auf der Suche nach einer Lösung durchrasten meine Gedanken fieberhaft die immergleichen Schleifen und fanden nicht hinaus. Es gab keinen Ausweg aus diesem Albtraum, keine Erlösung – alle Wege führten unweigerlich auf das einzig vorstellbare Ende zu. Die Frage war nur noch, wie viele andere Menschen verletzt wurden, bevor es dazu kam.
Mein einziger Trost war, dass Edward bald bei mir sein würde. Es war zugleich meine letzte Hoffnung. Vielleicht, dachte ich, genügte ja ein Blick in sein Gesicht und mir würde die Lösung einfallen, die ich jetzt nicht erkennen konnte.
Als das Telefon klingelte, ging ich, ein wenig beschämt von meinem Verhalten, ins andere Zimmer zurück. Ich hoffte, dass ich sie nicht verletzt hatte. Ich hoffte, sie wussten, wie dankbar ich ihnen für alles war.
Alice sprach so schnell wie gewöhnlich, doch ich war ohnehin abgelenkt: Jasper war verschwunden. Ich schaute auf die Uhr – es war halb sechs.
»Sie gehen gerade an Bord«, sagte Alice. »Um Viertel vor zehn sind sie hier.« Nur noch ein paar Stunden weiteratmen, dann war er da.
»Wo ist Jasper?«
»Beim Auschecken.«
»Bleibt ihr nicht hier?«
»Nein, wir suchen uns was in der Nähe deiner Mutter.«
Mir wurde flau im Magen, als ich das hörte.
Doch dann klingelte abermals das Telefon und lenkte mich ab. Alice sah überrascht aus, doch ich ging bereits auf sie zu und streckte hoffnungsvoll meine Hand aus.
»Hallo?«, fragte Alice. »Ja, sie steht direkt neben mir.« Sie hielt mir das Telefon hin. Ihre Lippen formten die Worte »deine Mutter«.
»Hallo?«
»Bella? Bella?« Es war die Stimme meiner Mutter, und es war der Tonfall, den ich als Kind Tausende Male gehört hatte – wenn ich zu dicht am Straßenrand lief oder sie mich in einer Menschenmenge nicht mehr sehen konnte. Es war der vertraute Klang ihrer Panik.
Ich seufzte. So etwas hatte ich mir schon gedacht, obwohl ich meine Nachricht, trotz der Dringlichkeit, so unaufgeregt wie möglich formuliert hatte.
»Beruhige dich, Mom«, sagte ich besänftigend und ging langsam ein paar Schritte von Alice weg. Ich war mir nicht sicher, ob ich gut lügen konnte, wenn sie mir dabei zuschaute. »Alles ist in Ordnung, okay? Ich muss dir nur kurz was erklären.«
Dann hielt ich überrascht inne – sie hatte mich noch nicht unterbrochen.
»Mom?«
»Ab sofort solltest du besser nur noch sagen, was ich dir diktiere.« Die Stimme war so unbekannt wie unerwartet; es war eine helle, sehr freundliche, auf eine anonyme Art irgendwie vertraute Stimme – eine Stimme wie aus einer Werbung für Luxuslimousinen. Es war nicht die Stimme meiner Mutter, sondern die eines Mannes. Er sprach sehr schnell.
»Wenn du willst, dass ich deiner Mutter nicht wehtue, dann solltest du alles genau so machen, wie ich es sage.« Er schwieg und ich wartete, stumm vor Entsetzen, wie es weiterging. »So ist es gut«, sagte er zufrieden. »Wenn du mir jetzt bitte nachsprechen würdest – und versuch bitte, so natürlich wie möglich zu klingen: ›Nein, Mom, bleib, wo du bist.‹«
»Nein, Mom, bleib, wo du bist.« Es war kaum mehr als ein Flüstern.
»Hmm. Ich merk schon, das wird nicht so einfach werden.« Er klang amüsiert und weiterhin freundlich. »Am besten ist es, du gehst jetzt nach nebenan, damit dein Gesicht uns keinen Strich durch die Rechnung macht. Wir wollen doch nicht, dass deine Mutter unnötig leidet. Beim Gehen sagst du bitte: ›Mom, hör mir doch zu.‹ Sag es jetzt.«
»Mom, hör mir doch zu«, sagte ich flehend. Langsam ging ich in das andere Zimmer und spürte dabei Alice’ besorgten Blick auf mir ruhen. Ich schloss die Tür und versuchte, trotz meiner Angst einen klaren Gedanken zu fassen.
»So, bist du jetzt allein? Antworte mit Ja oder Nein.«
»Ja.«
»Aber sie können dich immer noch hören, richtig?«
»Ja.«
»Also gut«, fuhr er unverändert freundlich fort. »Dann sag jetzt: ›Mom, du musst mir vertrauen!‹«
»Mom, du musst mir vertrauen!«
»Ich muss sagen, das klappt alles besser, als ich dachte. Ich hatte mich schon darauf eingestellt, ein bisschen Zeit hier zu verbringen, aber deine Mutter ist früher als erwartet nach Hause gekommen. Aber eigentlich ist es so besser, meinst du nicht auch? Die ganze Anspannung und Nervosität, die dir jetzt erspart bleibt!«
Ich wartete ab.
»Jetzt hör genau zu. Es ist notwendig, dass du deine Freunde loswirst; schaffst du das? Ja oder
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