Bis(s) 1 - Bis(s) zum Morgengrauen
Turnhalle gingen, genau wie am Vortag. Und wie am Vortag berührte er wortlos mein Gesicht: Mit der Rückseite seiner kühlen Hand strich er einmal von der Schläfe hinab zur Wange. Dann drehte er sich um und ging davon.
Die Sportstunde verging schnell – ich stand da und schaute Mike bei seiner Ein-Mann-Badminton-Show zu. Er sprach nicht mit mir; entweder lag es an meinem abwesenden Gesichtsausdruck, oder er war immer noch sauer wegen unseres Zanks am Tag zuvor. Ganz leise meldete sich mein Gewissen, doch meine Gedanken waren woanders.
Hinterher hatte ich es eilig, in die Kabine zu kommen und mich umzuziehen. Je schneller ich war, desto eher würde ich bei Edward sein, und meine Ungeduld machte mich noch tollpatschiger als üblich; doch letztlich schaffte ich es nach draußen und erlebte wieder dasselbe Gefühl der Befreiung, als ich ihn dort stehen sah. Automatisch trat ein breites Lächeln auf mein Gesicht, und er lächelte zurück, bevor er sein Kreuzverhör fortsetzte.
Doch seine Fragen waren jetzt anders, weniger leicht zu beantworten. Er wollte wissen, was ich hier im Vergleich zu Arizona vermisste, und verlangte mir Beschreibungen von allem ab, was er nicht kannte. Wir saßen stundenlang vor Charlies Haus im Auto; dann verdunkelte sich der Himmel und schlagartig ging ein sintflutartiger Regenguss nieder.
Ich versuchte zu beschreiben, was sich kaum beschreiben ließ: den Duft des Kreosotbusches – bitter, leicht harzig, aber angenehm –, das zirpende Geräusch der Zikaden im Juli, die fedrige Kargheit der Bäume, die Weite des Himmels, der sich weißblau von Horizont zu Horizont erstreckte, kaum unterbrochen von den niedrigen, mit rotem Vulkangestein bedeckten Bergen. Am schwersten fiel es mir zu erklären, was ich an alldem so schön fand – eine Schönheit zu begründen, die nicht von der spärlichen, stachligen Vegetation abhing, die oft halb vertrocknet wirkte, sondern viel mehr mit den nackten Konturen des Landes zu tun hatte, mit den flachen Senken der Täler zwischen felsigen Hügeln, und der Art, wie alles der Sonne trotzte. Unwillkürlich nahm ich meine Hände zu Hilfe, um es ihm zu veranschaulichen.
Die ruhige, forschende Art, mit der er mich befragte, hatte zur Folge, dass ich im trüben Licht des Unwetters freimütig und ohne Beschämen draufloserzählte, obwohl es die ganze Zeit nur um mich ging. Irgendwann, nachdem ich ihm gerade bis ins Detail die Einrichtung meines vollgestopften Zimmers in Phoenix geschildert hatte, reagierte er nicht mit der nächsten Frage, sondern blieb stumm.
»Ist das alles?«, fragte ich erleichtert.
»Nicht einmal annähernd – aber dein Vater wird bald nach Hause kommen.«
»Charlie!« Seufzend erinnerte ich mich, dass es ihn auch noch gab. Ich schaute zum regenverhangenen Himmel hoch, doch er ließ keine Rückschlüsse auf die Zeit zu. »Wie spät ist es denn?«, fragte ich und schaute auf die Uhr. Ich war überrascht, wie lange wir schon so im Auto saßen – Charlie musste bereits auf dem Heimweg sein.
»Das ist die Dämmerung«, sagte Edward leise und blickte zum westlichen Horizont, der verborgen hinter den Wolken lag. Seine Stimme klang nachdenklich, als sei er mit den Gedanken weit entfernt. Ich musterte ihn, wie er mit leerem Blick durch die Windschutzscheibe nach draußen schaute.
Das tat ich immer noch, als er seine Augen plötzlich wieder auf mich richtete.
»Für uns ist das die sicherste Stunde des Tages«, sagte er und beantwortete die unausgesprochene Frage in meinen Augen. »Die einfachste. Aber auch die traurigste, auf eine Art … das Ende eines Tages, der Anbruch der Nacht. Die Dunkelheit ist so vorhersehbar, findest du nicht?« Er lächelte wehmütig.
»Ich mag die Dunkelheit. Ohne sie würden wir nie die Sterne sehen.« Ich runzelte die Stirn. »Nicht, dass man sie hier besonders oft zu Gesicht bekommt.«
Er lachte, und augenblicklich hellte sich die Stimmung auf.
»Charlie wird in ein paar Minuten hier sein. Also, falls du nicht doch noch vorhast, ihm zu erzählen, dass du den Samstag mit mir verbringen willst …« Er zog eine Augenbraue hoch.
»Danke, aber ich verzichte.« Als ich meine Bücher zusammenklaubte, merkte ich, dass ich ganz steif war vom langen Sitzen. »Also bin ich dann morgen wieder dran?«
»Mit Sicherheit nicht!« Sein Gesicht zeigte gespielte Entrüstung. »Ich hab dir doch gesagt, ich bin noch nicht fertig.«
»Was hast du denn noch nicht gefragt?«
»Das wirst du schon merken – morgen.« Er
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