Bis(s) 2 - Bis(s) zur Mittagsstunde
die Stimmen gehört.«
Eine Weile war es sehr still. »Stimmen?«, fragte er tonlos.
»Na ja, nur eine Stimme. Deine. Das ist eine lange Geschichte.« Als er mich misstrauisch ansah, bereute ich, dass ich davon angefangen hatte. Würde er mich für verrückt halten, wie alle anderen? Hatten sie etwa Recht? Wenigstens war der Ausdruck auf seinem Gesicht, so als würde etwas ihn innerlich verbrennen, verschwunden.
»Ich habe Zeit.« Er klang unnatürlich gelassen.
»Es ist ziemlich armselig.«
Er wartete.
Ich wusste nicht, wie ich es erklären sollte. »Weißt du noch, dass Alice gesagt hat, ich wär unter die Extremsportler gegangen?«
»Du bist zum Spaß von einer Klippe gesprungen«, sagte er ausdruckslos.
»Ähm, ja, genau. Und davor, mit dem Motorrad …«
»Motorrad?«, sagte er. Ich kannte seine Stimme gut genug, um zu merken, dass unter der äußeren Ruhe etwas brodelte.
»Das habe ich Alice wohl nicht erzählt.«
»Nein.«
»Also, das war so … Weißt du, ich hatte herausgefunden, dass … wenn ich etwas Gefährliches oder Dummes machte … dann konnte ich mich besser an dich erinnern«, gestand ich und kam mir dabei total gestört vor. »Dann wusste ich wieder, wie deine Stimme klingt, wenn du wütend bist. Ich konnte dich hören, als würdest du direkt neben mir stehen. Meistens versuchte ich, nicht an dich zu denken, aber in solchen Momenten tat es nicht so weh – es war, als würdest du mich wieder beschützen. Als ob du nicht wolltest, dass mir etwas zustößt. Und jetzt frage ich mich, ob ich dich wohl deshalb so deutlich hören konnte, weil ich insgeheim immer wusste, dass du mich noch liebst …«
Und wieder klangen die Worte echt, als ich sie aussprach. Irgendwo tief im Innern erkannte ich, dass es die Wahrheit war.
Seine Stimme klang erstickt. »Du … hast … dein Leben aufs Spiel gesetzt … um meine Stimme …«
»Schsch«, unterbrach ich ihn. »Warte mal. Ich glaub, ich hab gerade eine Erleuchtung.«
Ich dachte an die Nacht in Port Angeles, als ich die erste Halluzination hatte. Ich hatte zwei mögliche Erklärungen gehabt. Wahnsinn oder Wunschdenken. Eine dritte Möglichkeit hatte ich nicht gesehen.
Aber was, wenn …
Wenn man nun ernsthaft an etwas glaubte, aber völlig danebenlag? Wenn man sich so darauf versteift hatte, dass man die Wahrheit gar nicht in Betracht zog? Ließ sich die Wahrheit dann zum Schweigen bringen oder versuchte sie ans Licht zu kommen?
Möglichkeit drei: Edward liebte mich. Das Band zwischen uns ließ sich weder durch Distanz noch durch Zeit durchtrennen. Und ganz gleich, wie viel außergewöhnlicher oder schöner oder geistreicher oder vollkommener er war, so war er doch genauso unwiederbringlich verwandelt wie ich. So wie ich immer zu ihm gehören würde, so würde er auf immer mir gehören.
Hatte ich versucht, mir das klarzumachen?
»Oh!«
»Bella?«
»Oh. Gut. Jetzt verstehe ich.«
»Deine Erleuchtung?«, fragte er, und seine Stimme war wacklig und angespannt.
»Du liebst mich«, sagte ich verwundert. Wieder durchströmte mich das Gefühl, dass es wahr war.
Obwohl er immer noch besorgt aussah, breitete sich das schiefe Lächeln, das ich so liebte, auf seinem Gesicht aus. »Ja, so ist es.«
Mein Herz schwoll an, als wollte es meine Rippen sprengen. Es füllte meine Brust aus und schnürte mir die Kehle zu, so dass ich nicht sprechen konnte.
Er wollte mich tatsächlich so, wie ich ihn wollte – für immer. Er wollte nur deshalb so verzweifelt, dass ich sterblich blieb, weil er um meine Seele bangte, weil er mir das Menschliche nicht nehmen wollte. Verglichen mit der Angst, er könnte mich nicht wollen, kam mir dieses Hindernis – meine Seele – fast unbedeutend vor.
Er nahm mein Gesicht fest in seine kalten Hände und küsste mich, bis mir so schwindlig war, dass sich der Wald drehte. Dann legte er seine Stirn an meine, und ich war nicht die Einzige, die heftiger atmete als sonst.
»Du hast das besser hinbekommen als ich, weißt du?«, sagte er.
»Was hab ich besser hinbekommen?«
»Zu überleben. Du hast dich wenigstens bemüht. Du bist morgens aufgestanden, hast versucht, Charlie etwas vorzuspielen, bist zur Schule gegangen. Wenn ich nicht gerade auf Verfolgungsjagd war, dann war ich … zu nichts zu gebrauchen. Ich konnte nicht bei meiner Familie sein – ich konnte mit niemandem zusammen sein. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mich mehr oder weniger eingeigelt und dem Unglück hingegeben habe.« Er lächelte
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