Bis(s) 2 - Bis(s) zur Mittagsstunde
merkte, wie schnell wir waren. Die Luft war feucht; sie brannte nicht in den Augen wie der Wind auf der Piazza in Volterra, und das war tröstlich. Ebenso tröstlich war die Nacht nach der entsetzlichen Helligkeit dort. Wie die Decke, unter der ich als Kind oft gespielt hatte, fühlte sich die Dunkelheit vertraut und sicher an.
Ich erinnerte mich daran, dass ich früher vor Angst die Augen schließen musste, wenn wir so schnell durch den Wald gerast waren. Jetzt kam mir das albern vor. Ich ließ die Augen weit geöffnet, legte das Kinn auf seine Schulter und die Wange an seinen Hals. Die Geschwindigkeit war berauschend. Das war hundertmal besser als Motorradfahren.
Ich drehte mein Gesicht zu ihm und drückte meine Lippen auf seinen kalten, harten Nacken.
»Danke«, sagte er, während die schwarzen Bäume schemenhaft an uns vorbeirasten. »Heißt das, du bist zu dem Schluss gekommen, dass du wach bist?«
Ich lachte, es war ein leichtes, natürliches Lachen, ganz unangestrengt. Es hörte sich richtig an. »Das kann man nicht sagen. Eher dass ich versuche, nicht aufzuwachen. Nicht heute Nacht.«
»Irgendwann werde ich mir dein Vertrauen wieder verdienen«, sagte er leise, mehr zu sich selbst. »Und wenn es das Letzte ist, was ich tue.«
»Dir vertraue ich ja«, versicherte ich ihm. »Aber mir nicht.«
»Das musst du mir mal erklären.«
Daran, dass der Wind nachließ, merkte ich, dass er jetzt nicht mehr rannte, und ich nahm an, dass es nicht mehr weit bis zum Haus war. Ich meinte sogar den Fluss zu hören, der irgendwo in der Nähe vorbeirauschte.
»Na ja …« Ich suchte nach den richtigen Worten. »Ich vertraue nicht darauf, dass ich … genug bin. Dass ich dich verdiene. Ich habe gar nichts, womit ich dich halten könnte.«
Er blieb stehen und holte mich von seinem Rücken herunter. Seine sanften Hände ließen mich nicht los; nachdem er mich wieder auf die Füße gesetzt hatte, umarmte er mich ganz fest und zog mich an seine Brust.
»Du hältst mich für immer und ewig«, flüsterte er. »Daran darfst du nie zweifeln.«
Aber wie sollte ich das nicht tun?
»Du hast mir immer noch nicht verraten …«, murmelte er.
»Was?«
»Was dein größtes Problem ist.«
»Einmal darfst du raten.« Seufzend tippte ich ihm mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze.
Er nickte. »Ich bin schlimmer als die Volturi«, sagte er grimmig. »Das habe ich wohl nicht anders verdient.«
Ich verdrehte die Augen. »Die Volturi könnten mich schlimmstenfalls umbringen.«
Er wartete mit wachsamem Blick.
»Du kannst mich verlassen«, erklärte ich. »Die Volturi, Victoria … die sind nichts dagegen.«
Selbst in der Dunkelheit sah ich, dass sich sein Gesicht schmerzhaft verzog – es erinnerte mich an seinen Gesichtsausdruck, als Jane ihn mit ihrem Blick gequält hatte; mir wurde elend und ich bereute, dass ich die Wahrheit gesagt hatte.
»Nicht«, flüsterte ich und berührte sein Gesicht. »Sei nicht traurig.«
Halbherzig zog er einen Mundwinkel hoch, aber das Lächeln erreichte seine Augen nicht. »Könnte ich dir doch nur begreiflich machen, dass ich dich gar nicht verlassen kann «, flüsterte er. »Vermutlich wird nur die Zeit dich überzeugen können.«
Die Idee gefiel mir. »Einverstanden«, sagte ich.
Er sah immer noch gequält aus, und ich versuchte ihn abzulenken.
»Kann ich denn jetzt, wo du hierbleibst, meine Sachen wiederhaben?«, fragte ich so leichthin wie möglich.
Ich hatte Erfolg, jedenfalls teilweise: Er lachte. Doch sein Blick war immer noch unglücklich. »Deine Sachen waren nie weg«, verriet er mir. »Ich wusste, dass das nicht richtig war, denn ich hatte dir ja Frieden ohne Erinnerungen versprochen. Es war dumm und kindisch, aber ich wollte, dass etwas von mir bei dir blieb. Die CD , die Fotos, die Tickets – das ist alles unter den Dielen in deinem Zimmer.«
»Was?«
Er nickte, und meine offensichtliche Freude über diese Kleinigkeit schien ihn aufzuheitern – wenn auch nicht genug, um den Schmerz aus seinem Gesicht zu verscheuchen.
»Ich glaube«, sagte ich langsam, »ich bin mir nicht sicher, aber vielleicht … womöglich habe ich es die ganze Zeit gewusst.«
»Was hast du gewusst?«
Eigentlich wollte ich nur den gequälten Ausdruck aus seinem Blick vertreiben, doch als ich es sagte, klang es wahrer, als ich gedacht hatte.
»Irgendetwas in mir, vielleicht mein Unterbewusstsein, hat nie richtig geglaubt, dass es dir egal ist, ob ich lebe oder sterbe. Wahrscheinlich hab ich deshalb auch
Weitere Kostenlose Bücher