Bis(s) 2 - Bis(s) zur Mittagsstunde
funktionieren konnte, wenn der Patient halbwegs ehrlich war. Ich könnte natürlich die Wahrheit erzählen – um dann den Rest meines Lebens in einer Gummizelle zu verbringen.
Er sah meinen ablehnenden Gesichtsausdruck und versuchte es anders.
»Ich weiß nicht mehr weiter, Bella. Vielleicht kann deine Mutter …«
»Also gut«, sagte ich tonlos. »Heute Abend gehe ich aus, wenn du willst. Ich rufe Jess oder Angela an.«
»Das ist es nicht«, sagte er frustriert. »Ich halte es nicht aus zu sehen, wie du dich noch mehr anstrengst. Ich hab noch nie jemanden gesehen, der sich so angestrengt hat. Es tut weh, das mit anzusehen.«
Ich tat so, als wüsste ich nicht, wovon er redete, und starrte auf den Tisch. »Ich verstehe dich nicht, Dad. Erst bist du sauer, weil ich nichts mache, und wenn ich dann ausgehen will, ist es dir auch nicht recht.«
»Ich möchte, dass du glücklich bist – nein, so viel verlange ich gar nicht. Ich möchte nur, dass du nicht mehr unglücklich bist. Ich glaube, wenn du Forks verlassen würdest, wäre es einfacher für dich.«
Ich spürte, wie in meinen Augen zum ersten Mal seit langem wieder ein kleiner Funken Leben aufblitzte.
»Ich gehe nicht weg«, sagte ich.
»Warum nicht?«, wollte er wissen.
»Ich bin im letzten Schuljahr – das würde alles vermasseln.«
»Du bist doch gut in der Schule – du würdest das schon hinkriegen.«
»Ich will Mom und Phil aber nicht auf der Pelle hocken.«
»Deine Mutter hätte dich liebend gern wieder bei sich.«
»In Florida ist es zu heiß.«
Wieder schlug er mit der Faust auf den Tisch. »Wir wissen beide, worum es hier eigentlich geht, Bella, und es tut dir nicht gut.« Er holte tief Luft. »Es ist jetzt Monate her. Kein Anruf, kein Brief, kein Lebenszeichen. Du kannst nicht länger auf ihn warten.«
Ich sah ihn finster an. Beinahe, aber nur beinahe, wäre ich rot vor Wut geworden. Ich hatte schon lange nicht mehr genug empfunden, um zu erröten.
Dieses Thema war absolut tabu, und das wusste er sehr gut.
»Ich warte auf gar nichts. Ich erwarte überhaupt nichts«, sagte ich mit leiser, monotoner Stimme.
»Bella …«, setzte Charlie mit belegter Stimme an.
»Ich muss jetzt zur Schule«, unterbrach ich ihn, stand auf und nahm das unberührte Frühstück mit einem Ruck vom Tisch. Ich kippte die Schale ins Spülbecken, ohne sie auszuwaschen. Jeder weitere Satz wäre zu viel.
»Ich gehe heute Abend mit Jessica aus«, rief ich über die Schulter, während ich mir die Schultasche umhängte. Ich schaute ihm nicht in die Augen. »Kann sein, dass ich nicht zum Abendessen komme. Wir fahren nach Port Angeles und gehen ins Kino.«
Bevor er etwas sagen konnte, war ich schon zur Tür hinaus.
Weil ich es so eilig hatte, von Charlie wegzukommen, war ich als eine der Ersten in der Schule. Das hatte den Vorteil, dass ich einen richtig guten Parkplatz bekam. Der Nachteil war, dass ich freie Zeit zur Verfügung hatte, und das versuchte ich um jeden Preis zu vermeiden.
Bevor ich anfangen konnte, über Charlies Vorwürfe nachzudenken, holte ich schnell mein Mathebuch heraus. Ich schlug es an der Stelle auf, die heute dran war, und versuchte die Aufgaben zu verstehen. Sich Mathe selber beizubringen war noch schlimmer, als dem Mathelehrer zuzuhören, aber ich machte Fortschritte. In den letzten Monaten hatte ich zehnmal so viel von Mathe verstanden wie in meinem ganzen bisherigen Leben. Inzwischen stand ich auf Eins minus. Mr Varner führte meine Fortschritte natürlich auf seinen großartigen Unterricht zurück, das war mir klar. Und wenn ihn das glücklich machte, wollte ich ihm seine Illusionen nicht rauben.
Ich zwang mich, weiterzumachen, bis der Parkplatz voll war, und musste mich schließlich sogar beeilen, um rechtzeitig zu Englisch zu kommen. Wir nahmen gerade Animal Farm durch, ein angenehmes Thema. Ich hatte nichts gegen den Kommunismus; er war eine willkommene Abwechslung von den anstrengenden Liebesgeschichten, die sonst hauptsächlich auf dem Lehrplan standen. Ich setzte mich auf meinen Platz und freute mich auf die Ablenkung durch Mr Bertys Stunde.
Die Zeit ging schnell herum. Viel zu früh klingelte es. Ich packte die Bücher in die Tasche.
»Bella?«
Das war Mikes Stimme, und noch bevor er weitersprach, wusste ich, was er fragen würde.
»Kommst du morgen zur Arbeit?«
Ich schaute auf. Mit besorgter Miene beugte er sich über den Gang zu mir herüber. Jeden Freitag dieselbe Frage. Dabei hatte ich noch nie krankgefeiert. Na ja, mit
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