Biss der Wölfin: Roman
verloren und unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht mehr von »Rudelwolf«. Aber als ich Reeses Reaktion sah, fragte ich schnell: »Ein anderer Werwolf, nehme ich an?«
Er nickte. »Ich war heute Vormittag im Museum. Das für Kunst und Geschichte an der Seventh Street.«
Er erklärte, dass ein mildes Interesse an Geschichte ihn dorthin geführt hatte, zusammen mit der Überzeugung, falls ein Werwolf ihn tatsächlich bis nach Alaska verfolgt haben sollte, dann würde das Museum vermutlich der letzte Ort sein, wo er nach ihm suchen würde.
Ich war mir sicher, für Liam und Ramon traf genau das zu. Diese beiden hätten ihre Probleme damit gehabt, das Wort »Museum« auch nur zu buchstabieren. Für Clay dagegen gab es keine Attraktion in der Stadt, wo die Wahrscheinlichkeit größer gewesen wäre, dass man ihn dort fand. Aber das behielt ich für mich.
So solide Reeses Argumentation auch war, sie hatte ihm nicht geholfen. Er war dort aufgetrieben worden, von zwei Mutts, die sich als Travis und Dan vorgestellt hatten. Sie hatten seine Fährte ein paar Straßen weiter entdeckt und waren ihr gefolgt, um seine Identität zu klären, wie jeder Werwolf es getan hätte, der in seiner Stadt einen fremden Werwolf witterte.
Sie hatten erleichtert gewirkt, weil er nur ein Junge war – in unserer Welt ist man mit zwanzig tatsächlich noch »nur ein Junge« – und weil dies bedeutete, dass er wenig Erfahrung beim Kämpfen und noch keinen Ruf hatte. Sie hatten nichts dagegen, dass Reese in Alaska war – vorübergehend, wie sie hofften. Er stellte keine Bedrohung dar, und solange er keinen Ärger machte, war er als Besucher willkommen. Sie hatten ihm sogar ein paar Tipps gegeben – billige Motels, Lokale mit guten Buffets, Orte, an denen man ungefährdet rennen konnte …
Nett, ohne aufdringlich oder übertrieben gastfreundlich zu sein, womit sie einem Jungen gegenüber, der sich schon einmal die Finger verbrannt hatte, genau den richtigen Ton getroffen hatten. Im Lauf der Unterhaltung hatte Travis Reeses Highschool-Ring bemerkt. Er hatte sich nach dem Abzeichen erkundigt, und Reese hatte ihn einen näheren Blick auf den Ring werfen lassen.
»Travis hat ihn sich angesehen und dabei die Spitze von meinem Finger festgehalten. Da ist es dann passiert, so schnell, dass ich das Messer erst gesehen habe, als …« Er wurde bleich bei der Erinnerung. »Wenn ich in dem Moment nicht zurückgezuckt wäre, hätte er beide Finger glatt abgeschnitten. Ich bin abgehauen, hab die Hand in die Tasche gesteckt und bin gerannt, so schnell ich konnte. Ich hab gehört, dass sie hinter mir her sind. Also bin ich an diesem Wachmann vorbei, einem alten Typ. Bis der aufgestanden war und hinter mir hergebrüllt hat, war ich zur Tür raus, aber Travis und Dan sind dann doch stehen geblieben. Gleich vor der Tür hat ein Taxi gestanden. Ich bin rein und hergekommen. Ich … ich nehme an, die haben den Ring gewollt, aber der war nichts Besonderes. Einfach bloß ein Highschool-Ring eben.«
»Es ist nicht um den Ring gegangen«, sagte Clay. »Das war eine Warnung. Verschwinde aus unserem Territorium.«
»Warum haben sie’s mir dann nicht einfach gesagt? Warum sich erst freundlich geben und dann …« Er hob die Hand. »Das?«
»Wie fühlst du dich jetzt?«, fragte Clay.
Reeses Gesicht verfinsterte sich. »Was zum Teufel glaubt ihr, wie ich mich gerade fühle? Ich hab meine Scheißfinger verloren!«
»Entsetzt? Verwirrt?«
»Zum Teufel, ja!«
»Und was hättest du getan, nachdem du das versorgt gekriegt hattest? Dem Mann an der Rezeption sagen, dass du noch ein paar Tage bleibst, deinen Alaska-Urlaub noch ein bisschen verlängerst?«
»Scheiße, nein. Ich hätte mich ins erste Flugzeug gesetzt …« Er unterbrach sich und nickte. »Das war der springende Punkt, stimmt’s?«
»Schnell und hart zuschlagen, dich unvorbereitet erwischen und dir einen Höllenschreck einjagen. Viel wirkungsvoller, als eine freundliche Warnung auszusprechen und zu hoffen, dass du sie nicht irgendwie drankriegst, wenn du Gelegenheit dazu hast.«
Ich erkundigte mich nach den Mutts. Er lieferte mir eine Art von Beschreibung. Travis, sagte er, war »gigantisch«. Mindestens 1,93 m und muskulös. Der Rest des Mannes hatte keinen großen Eindruck hinterlassen – braunes Haar, meinte Reese, weder kurz noch lang. Keine Ahnung, welche Farbe seine Augen hatten. Keine besonderen Kennzeichen.
Travis’ Größe hatte Reese nicht nur davon abgehalten, darauf zu
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