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Biss der Wölfin: Roman

Biss der Wölfin: Roman

Titel: Biss der Wölfin: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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während Clay die Krankenschwester gab, blutige Tücher wegschaffte und frische brachte. Was die Frage anging, wie er die Finger verloren hatte – Reese blieb stumm. Allerdings sah es mir eher nach Schock als nach Sturheit aus, also versuchten Clay und ich ihn abzulenken, indem wir über die jüngsten Verletzungen in unserem eigenen Umfeld sprachen – den Fenstersturz unserer Kinder.
    »Logan wollte nicht mit der Sprache raus«, sagte ich. »Aber ich habe Kate schließlich doch noch dazu gebracht, mir zu erzählen, was passiert ist. Und es war genau das, was wir vermutet hatten.«
    »Sie sind gesprungen, weil sie gesehen haben, dass wir’s tun.«
    Ich erklärte Reese: »Unsere Kinder haben festgestellt, dass unser Tag nicht in dem Moment zu Ende ist, in dem sie ins Bett gehen. Wir gehen durch den Wald, wir reden am Kamin, Essbares kommt ins Spiel …«
    »Es ist vor allem das Essbare«, sagte Clay.
    »Natürlich haben sie sich ausgeschlossen gefühlt und sind immer wieder aufgestanden. Und damit die Schlafenszeit nicht zum Schlachtfeld wird, sind wir gleichzeitig mit ihnen ins Bett gegangen und haben uns hinterher dann wieder ins Erdgeschoss oder ins Freie geschlichen.«
    »Nur, dass sie uns gehört haben, als wir die Treppe runtergegangen sind«, sagte Clay.
    »So jung, wie sie sind, dürften sie eigentlich keine zusätzlichen Kräfte haben. Wir sind uns nicht mal sicher, ob sie Werwölfe sind – einer von ihnen oder beide oder … es ist etwas kompliziert. Jedenfalls, bei ihrem Alter wissen wir einfach nicht, ob sie das schärfere Gehör haben oder ob wir einfach lauter sind, als wir uns einbilden. Wir haben uns jedenfalls gedacht, eine einfache und sichere Lösung wäre, die Treppe zu vermeiden und zum Schlafzimmerfenster rauszuspringen. Offenbar war das ein Fehler.«
    »Das haben sie versucht?«, fragte Reese, seine ersten Worte, seit ich hereingekommen war. »Alles okay mit ihnen?«
    »Ein verstauchter Fuß, ein verstauchtes Handgelenk, ein Elternteil mit ganz extrem schlechtem Gewissen.«
    »Zwei«, sagte Clay. »Wir werden uns eine andere Lösung einfallen lassen müssen.«
    »Eine andere als die, sie an ihren Betten festzubinden?«
    »Das wäre die Ausweichoption.«
    Ich schnitt den Verbandstreifen ab. »Ich weiß, wahrscheinlich sollten wir einfach stur bleiben – Schlafenszeit ist Schlafenszeit –, aber ich habe mir überlegt, vielleicht geht ein Kompromiss. Wir lassen sie zwei Tage in der Woche bis elf aufbleiben und gehen selbst früh ins Bett, und den Rest der Woche gehen sie zu ihrer normalen Zeit schlafen. Wenn das nicht funktioniert, dann greifen wir durch – keine langen Abende mehr.«
    »Das könnte was werden.«
    »Ich hoff’s. Andernfalls wird es Zeit, in Gitter vor den Fenstern zu investieren.«
    Ich stand auf und streckte die Beine. Reese hatte die Unterhaltung zu etwa gleichen Teilen mit Interesse und Verblüffung verfolgt, und jetzt sah er einfach verwirrt aus. Er hatte Geschichten über uns gehört – jeder Mutt, der sich länger als einen Monat in den Vereinigten Staaten aufhält, hat das. Geschichten von Clayton Danvers, dem Werwolfsjungen, der zu einem gemeingefährlichen Psychopathen herangewachsen war, mit siebzehn Jahren einen Mutt in Stücke gehackt und Fotos davon herumgezeigt hatte. Dann hatte er irgendein armes Mädchen in Toronto gebissen, sie zu seiner Gefährtin gemacht und in seiner Höhle in Stonehaven eingesperrt, sie gezwungen, seine Kinder zur Welt zu bringen, und sie auf seinen Missionen als Ordnungshüter des Rudels mitgeschleift, damit sie – ich weiß nicht recht – seine Socken wusch und ihm Frühstück im Bett servierte wahrscheinlich.
    Es war etwas Wahres an dieser Geschichte, so wie das bei allen Mythen der Fall ist. Der Werwolfsjunge, der Axteinsatz und die Fotos, der Biss. Trotzdem war all das ungleich komplizierter, als die »moderner Mythos«-Version eines Mutts es hätte akzeptieren können. Als Reese uns jetzt zusammen sah und uns reden hörte, mussten wir auf ihn wirken wie ein vollkommen normales Paar … oder jedenfalls so normal, wie ein Paar sein kann, das weiß, wie man abgehackte Finger versorgt.
    »Okay«, sagte Clay, als er meinen Erste-Hilfe-Beutel wieder zusammenpackte. »Deine Hand. Mutt am Werk gewesen?«
    Reese zuckte zusammen bei dem Wort. Manche tun das – sie fassen den Begriff als abwertend auf. Andere tragen ihn wie einen Verdienstorden. Den meisten ist es egal; für sie hat die Bezeichnung ihren Beiklang längst

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