BIS(S) ZUM ERSTEN SONNENSTRAHL
kriechen?«, flüsterte ich. »Meinst du, das wäre sicher genug, oder ...?«
»Keine Panik, Bree«, sagte Diego und klang unbegreiflich ruhig. »Ich kenne einen Platz. Komm mit.«
Er machte einen sehr eleganten Salto rückwärts von der Kante des Kliffs herunter.
Ich glaubte nicht, dass das Wasser einen ausreichenden Filter abgab, um das Sonnenlicht abzuschirmen. Aber vielleicht konnten wir unter Wasser nicht verbrennen? Es schien mir ein ziemlich dürftiger Plan zu sein.
Trotzdem kroch ich nicht unter die ausgebrannte Hülle des eingestürzten Hauses, sondern sprang stattdessen hinter ihm her von der Klippe. Ich war nicht wirklich überzeugt davon, dass ich das Richtige tat, was ein unangenehmes Gefühl war. Normalerweise machte ich, was ich immer machte - aus Gewohnheit und weil es mir logisch erschien.
Im Wasser holte ich Diego ein. Er veranstaltete schon wieder ein Wettrennen, aber diesmal nicht aus Spaß. Es war ein Wettrennen gegen die Sonne.
Er sauste um eine Landzunge der kleinen Insel herum und tauchte dann tief nach unten. Ich hätte eigentlich erwartet, dass er auf dem felsigen Boden des Sunds aufschlug, aber stattdessen spürte ich eine wärmere Strömung, die hinter einer Art Felsnase hervorkam.
Ganz schön schlau von Diego, so einen Ort zu kennen. Klar, es würde nicht besonders lustig werden, den ganzen Tag über in einer Unterwasserhöhle zu sitzen - nicht atmen zu können, nervte nach ein paar Stunden -, aber es war immer noch besser, als zu Asche zu zerfallen. Ich hätte auch so denken sollen wie Diego. An etwas anderes denken als an Blut, meine ich. Ich hätte auf das Unerwartete vorbereitet sein sollen.
Diego schwamm durch einen schmalen Spalt in den Felsen. Hier drin war es pechschwarz. Sicher. Ich konnte nicht mehr schwimmen - es war zu eng hier -, also krabbelte ich weiter wie Diego, kletterte durch die Windungen. Ich wartete darauf, dass er anhielt, aber das tat er nicht. Plötzlich merkte ich, dass es wirklich aufwärtsging. Und dann hörte ich, wie Diego die Wasseroberfläche durchstieß.
Eine halbe Sekunde nach ihm tauchte ich ebenfalls aus dem Wasser auf.
Die Höhle war nichts weiter als ein kleines Loch, eine Art Grotte von der Größe eines VW Beetle, allerdings nicht ganz so hoch. Ein zweiter schmaler Gang führte auf der anderen Seite weiter und ich konnte die frische Luft riechen, die aus dieser Richtung kam. Auf der Oberfläche der Kalksteinwände sah ich die Abdrücke von Diegos Fingern in zigfacher Ausführung. »Netter Platz«, sagte ich.
Diego lächelte. »Besser als hinter Freaky Fred.«
»Dem kann ich nicht widersprechen. Ah. Danke.«
»Gern geschehen.«
Wir sahen uns einen Augenblick in der Dunkelheit an. Sein Gesicht war glatt und ruhig. Mit jedem sonst, Kevin oder Kristie oder einem der anderen, wäre das hier fürchterlich gewesen - der enge Raum, die erzwungene Nähe. Ich nahm seinen Geruch überall um mich herum wahr, diese Beengtheit hätte mit jedem anderen Vampir einen schnellen und schmerzhaften Tod zur Folge haben können. Aber Diego war so beherrscht. Wie niemand sonst.
»Wie alt bist du?«, fragte er unvermittelt.
»Drei Monate. Hab ich dir doch schon gesagt.«
»Das habe ich nicht gemeint. Ah, wie alt
warst
du? Wahrscheinlich muss ich so fragen.«
Ich rückte unbehaglich zur Seite, als mir bewusst wurde, dass er über
Menschenkram
sprach. Darüber sprach sonst niemand. Niemand dachte gern daran. Aber ich wollte das Gespräch auch nicht beenden. Überhaupt ein Gespräch zu führen, war etwas Neues und Aufregendes. Ich zögerte und er wartete mit neugieriger Miene.
»Ich war, äh, fünfzehn, glaube ich. Fast sechzehn. Ich kann mich nicht an den genauen Tag erinnern ... ob mein Geburtstag schon vorbei war.« Ich versuchte daran zu denken, aber diese letzten hungrigen Wochen waren ein einziges verworrenes Durcheinander und der Versuch, Ordnung hineinzubringen, bereitete mir auf seltsame Art Kopfschmerzen. Ich schüttelte den Kopf und gab es auf. »Und du?«
»Ich war gerade achtzehn geworden«, sagte Diego. »So nah dran.«
»Nah wo dran?«
»Rauszukommen«, sagte er, aber er sprach nicht weiter. Eine Weile herrschte unbehagliches Schweigen, dann wechselte er das Thema.
»Du hast dich wirklich gut gehalten, seit du hierhergekommen bist«, sagte er und ließ seinen Blick über meine verschränkten Arme und Beine schweifen. »Du hast überlebt - bist der falschen Art Aufmerksamkeit aus dem Weg gegangen, heil geblieben.«
Ich zuckte die Achseln,
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