Bissige Spiele (German Edition)
war.
Jetzt musste ich nur noch auf eine passende Gelegenheit warten, damit ich sie durch die Türe zerren konnte.
Mittlerweile waren sicher zehn Minuten vergangen und die Zeit lief und lief an mir vorbei.
Schlagartig wurde es dunkel und ich riss wie ein wild gewordenes Tier an dem korpulenten Leib, was mir weniger als schwer fiel. Selten war ich so kaltblütig und hastig und vor allem unüberlegt vorgegangen. Kaum war sie in der viel zu engen Toilette, hatte ich auch schon meine Zähne in ihre Halsschlagader hineingeschlagen und saugte so schnell ich konnte, allerdings auch so sorgfältig ich konnte.
Das warme Blut durchfuhr meine toten, kalten Adern und ich fühlte mich schlagartig ungewohnt frei und klar. Die tote Frau sah im Gegensatz zu meiner Erwartung nicht unglücklich aus und ich dachte daran, was mir Sara über den Ausdruck ihrer Mutter erzählt hatte, als sie sie angesehen hatte. Sara hatte geglaubt, sie habe etwas Furchtbares erlebt und gesehen.
Natürlich war es furchtbar für einen Menschen, einfach so auf offener Straße gebissen und getötet zu werden, aber nach dem Ausdruck dieser Frau hier auf der Toilette zu urteilen, musste sie sich doch während ihres Blutverlustes glücklich gefühlt haben. Ein ungewöhnliches Strahlen lag auf ihrem Gesicht, was mein schlechtes Gewissen meinen Prinzipien gegenüber schwinden ließ.
Außerdem machte es keinen Unterschied, denn Gnade walten zu lassen gehörte nicht gerade zu den Eigenschaften eines Vampirs, und wenn er noch so viele Blutkonserven zu sich nahm.
Aber obwohl ich mich so befriedigt fühlte, wie schon lange nicht mehr, überkam mich gleichzeitig ein ernüchtertes Gefühl, denn ich spürte, dass ich kaltherziger war als zuvor, und dass ich meine Brust härter und abgebrühter wahrnahm.
Verdammt! Wie sollte ich nur so wieder ein Mensch werden, wenn ich in der ersten schwachen Minute gleich alles brach, was mir heilig war, wenn man in meinem Dasein überhaupt noch das Recht hatte von „heilig“ sprechen zu dürfen.
Ich konnte nur hoffen, dass Sara bald ihr Ziel erreichte, und ich die Möglichkeit hatte, wieder an Konserven zu kommen. Krankenhäuser gab es schließlich überall. Außer in Zügen!
Jetzt, wo ich den Ruck in meinem Herzen gespürt hatte, wollte ich die Möglichkeit für nichts auf der Welt aufgeben, mein Dasein als Vampir zu beenden. Auch nicht für den appetitlichen Geschmack von Alte-Damen-Blut, obwohl mir allein bei dem Gedanken daran noch einmal das Wasser im Mund zusammenlief. Es lag eine gewisse Reife in seinem Geschmack und man konnte erahnen, wie lieblich es einmal geschmeckt haben mochte.
Nun konnte ich der übrigen Fahrt entspannt entgegensehen. Sara stieg nicht an der nächsten Haltestelle aus, na toll! Da hätte ich mir den ganzen Stress sparen können. Aber es hätte ja auch anders kommen können, sicher war sicher.
Meine Kapuze tief über meinen Kopf gezogen, beobachtete ich sie aus den Augenwinkeln und studierte sämtliche Fahrgäste.
Hugh war nirgendwo zu erkennen oder zu erahnen, und ich fühlte Sara in Sicherheit. Mittlerweile waren wir in einem Schnellzug Richtung Cambridge unterwegs und ich konnte ihre rotblonden Haare von hinten erkennen. Manchmal legte sie etwas auf ihre Armlehne, das wie ein Buch aussah. Sie schien zu lesen, was ich als sinnvollen Zeitvertreib ansah. Schön, dass sich ausgerechnet das Mädchen meiner Träume für Literatur begeisterte, denn es gab neben meinem lediglich natürlichen Drang nach Blut nur wenige Sachen, denen ich noch erlegen war und dazu gehörten Bücher, die Musik und die Kunst.
Die Ewigkeit musste doch zu irgendetwas gut sein, und ich versuchte meinen Geist auf Trab zu halten, indem ich unter menschlichen Gesichtspunkten leidenschaftlich gut Saxophon spielte, denn ich liebte den Jazz und den Blues! Abgöttisch!
Leider war die Zeit des Jazz vorbei, dennoch war ein Vorteil der Großstadt, dass es jede Art von Club gab, die das Herz begehrte, und dazu gehörten sündhaft gute Jazzclubs, die ich regelmäßig besuchte, und wo ich den einen oder anderen Auftritt hatte.
Besonders dem 606 – Club, nahe der Themse, war ich hoffnungslos verfallen, anschließend war es ein Leichtes, seinen Durst an der Kühle des Flusses zu befriedigen. Hier gab es ebenso genügend Obdachlose und Trunkenbolde. Auch wenn ich lieber einen guten Wein unter anderen Umständen bevorzugt hätte, konnte ich so wenigstens den Geschmack erahnen, den der Wein oder Scotch gehabt haben musste.
Die Zugfahrt
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