Bisswunden
Natur der Verbrechen zu verschleiern, dies alles hatte darin resultiert, dass ich zum Fall hinzugerufen wurde. (Die Durchsuchung von Stacey Lorios Wohnung durch das fbi förderte eine riesige Sammlung von True-Crime-Taschenbüchern zu Tage, voll mit unterstrichenen Passagen über die Forensik und die Psychologie von Sexualmorden.) Sobald Dr. Malik gewahr wurde, dass man mich in die Ermittlungen eingeschaltet hatte, war er besessen davon, mit mir zu kommunizieren. Angesichts seines Wissens um die dunklen Geheimnisse meiner Familie – und dessen, was Ann ihm wahrscheinlich über mich erzählt hatte – glaubte er, dass mein Auftauchen eine bedeutungsvolle Synchronizität der Ereignisse darstellte, die er nicht ignorieren durfte.
»Die einfache Antwort lautet«, schloss Dr. Goldman, »dass kranke Menschen andere kranke Menschen anziehen. Psychologisch gesprochen, heißt das.«
Nach Hannahs Worten hatte meine jüngste Serie von Albträumen über meinen Großvater und den Pick-up nicht das Geringste mit den Morden in New Orleans zu tun. Die Albträume waren, beharrte sie, einzig und allein das Resultat meiner Schwangerschaft. In dem Augenblick, in dem mein Gehirn wusste, dass ich ein Baby bekommen würde, erkannte mein Unterbewusstsein, dass ich, um mein Kind schützen zu können, die Erinnerung an den Missbrauch in meiner eigenen Kindheit benötigte. »So funktioniert Evolution«, sagt Hannah. »Die Spezies weiterzubringen ist die höchste Priorität eines jeden Organismus. Ihr Gehirn, Catherine, kam zu dem Schluss, dass der Schutz Ihres Babys wichtiger war, als Sie vor dem Trauma zu schützen, das Sie in Ihrer Kindheit erlebt haben. Daher die plötzliche Flut von Albträumen und Flashbacks. Sie hätten sich irgendwann an die Dinge erinnert, die Ihr Großvater Ihnen angetan hat, gleichgültig, ob jemand hier in NewOrleans ermordet worden wäre oder nicht. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort.«
Doch nicht einmal Hannah Goldman vermochte zu erklären, was mir an den Mordschauplätzen letztendlich den entscheidenden Hinweis auf die wahre Natur der Verbrechen geliefert hatte. Genau wie das fbi waren mir die klassischen Merkmale eines männlichen Sexualtäters bei der Arbeit präsentiert worden, und ich hatte schon viele Male ähnliche Tatorte in Augenschein genommen. Was also war die Ursache für meine Panikattacken? Was verriet mir, dass ich auf eine Tat blickte, die irgendwie mit sexuellem Missbrauch verwandt war ähnlich dem, dessen Opfer ich geworden war?
Hannah hielt es für möglich, dass es der Anblick der nackten alten Männer gewesen sein könnte.
Doch letzten Endes kam ich zu dem Schluss, dass es eine winzige Kleinigkeit gewesen war. Meine erste Panikattacke erlitt ich am Schauplatz des dritten Mordes.
Elf Tage zuvor, im Haus des zweiten Opfers – Andrus Riviere –, hatte ich ein kleines Mädchen gesehen, das mir im Gedächtnis haften geblieben war. Sein Großvater war eben gewaltsam ums Leben gekommen, und doch schien das Mädchen beinahe überzufließen vor freudiger Energie. Es rannte durchs Haus, als würde gleich seine Geburtstagsparty anfangen. Und nach allem, was ich heute weiß, glaube ich auch, dass es so war. Der Mord an Andrus Riviere hat dieses kleine Mädchen aus einer Hölle befreit. Und irgendetwas am Gesicht der Kleinen – irgendetwas in ihren viel zu erwachsenen, ernsten Augen – hat eine Botschaft an mein Unterbewusstsein gesandt. Genau wie Pearlies Unterbewusstsein geahnt hat, dass Ann als Kind missbraucht wurde, hat mein Unterbewusstsein geahnt, dass irgendetwas im Haus von Andrus Riviere nicht in Ordnung war. Irgendein Missstand, den der Tod Rivieres beseitigt hat.
Kaiser überraschte mich mit der Eröffnung, dass Nathan Malik all seine Videobänder und anderen Rohmaterialien für den geplanten Dokumentarfilm mir vermacht hat. Dies schließtseine Patientenaufzeichnungen mit ein, die wir in einem Versteck in Biloxi, Mississippi, im Haus des dritten Ehemanns meiner Tante fanden. Sobald all diese Materialien vom nopd freigegeben werden, wird die Polizei sie an mich überstellen. Ich habe vor, irgendwann alles durchzugehen und mich an die Arbeit zur Fertigstellung von Maliks Film zu begeben. Ich werde keine Aufnahmen von den Morden zeigen, doch ich werde alles versuchen, um die hinter den »Bestrafungen« stehende Motivation zu erklären.
Am Tag, an dem ich aus dem Tulane Hospital entlassen werden sollte, erfuhr ich, dass auch Margaret Lavigne hier Patientin war. Ich ließ mich von einer
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