Bisswunden
stärksten Beweise gegen jeden zukünftigen Verdächtigen – mitochondrische dna aus dem Speichel des Killers.
Die Bisswunden sind der Grund dafür, dass ich an dem Fall mitarbeite. Ich bin forensische Odontologin, Expertin für menschliche Zähne und die Schäden, die sie anzurichten imstande sind. Ich habe meine Kenntnisse im Verlauf von vier langweiligen Jahren an der Universität und fünf faszinierenden Jahren der Feldforschung erworben. Wenn Leute mich fragen, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiene, dann erzähle ich ihnen, ich wäre Zahnärztin, was der Wahrheit mehr oder weniger entspricht und alles ist, was sie erfahren müssen. Odontologin sagt niemandem etwas, doch im Amerika nach c. s. i. lockt das Beiwort forensisch so viele Fragen hervor, dass ich mit den Antworten nicht mehr hinterherkomme. Während also die meisten Bekannten mich als Zahnärztin kennen, die zu viel zu tun hat, um neue Patienten anzunehmen, gibt es eine Reihe von Regierungsbehörden – einschließlich fbi und der Kommission zur Bekämpfung und Aufklärung von Kriegsverbrechen der Vereinten Nationen –, für die ich als eine der weltweit führenden forensischen Odontologinnen beschäftigt bin. Was ziemlich angenehm ist. Ich kann mich damit identifizieren.
Die Sonderkommission möchte heute Abend meine Expertise in Sachen Bisswunden, doch Sean Regan will mehr. Als er vor zwei Jahren meine Hilfe bei einem Mordfall in Anspruch nahm, fand er bald heraus, dass ich mich nicht nur mit Zähnen auskenne. Ich habe zwei Jahre Medizin studiert, bevor ich gewechselt habe, und das hat mir eine gute Basis für das Selbststudium der Forensik verschafft. Anatomie, Hämatologie, Histologie, Biochemie – was immer ein Fall erfordert. Ich kann doppelt so viele Informationen aus einem Autopsiebericht herausholen wie jeder Detective, und doppelt so schnell. Nachdem Sean und ich uns näher gekommen waren, als die Regeln es erlauben, benutzte er mich öfter inoffiziell bei der Lösung schwieriger Fälle. Benutzen ist das richtige Wort: Sean lebt dafür, Killer zur Strecke zu bringen, und er benutzt alles und jedes, das ihm dabei helfen kann.
Doch Sean benutzt mich nicht nur. Er ist mein Waffenkamerad, mein Rabbi und mein Förderer. Er verurteilt mich nicht. Er kennt mich so, wie ich bin, und er gibt mir, was ich brauche. Ich bin wie Sean – eine geborene Jägerin. Ich jage allerdings keine Tiere. Ich habe Tiere gejagt, und ich hasse es. Tiere sind unschuldige Wesen, Menschen nicht. Ich bin eine geborene Menschenjägerin. Doch im Gegensatz zu Sean besitze ich keine Lizenz dazu. Nicht wirklich, heißt das. Die forensische Odontologie führt nur zu peripherer Berührung mit Mordfällen – es ist meine Beziehung zu Sean, die mich mitten in die blutigen Details bringt. Indem er mir Zutritt verschafft – unethischen und wahrscheinlich illegalen Zutritt – zu Tatschauplätzen, Zeugen und Beweisen, hat er mir ermöglicht, vier große Mordfälle zu lösen, einer davon mit einem Serientäter. Selbstverständlich hat Sean jedes Mal die Lorbeeren eingeheimst – plus die damit verbundenen Beförderungen –, und ich lasse es geschehen. Warum? Weil die Wahrheit unsere Liebesbeziehung offen gelegt hätte. Sean wäre gefeuert worden, und die Killer wären freigekommen. Doch die Wahrheit ist einfacher als das. Die Wahrheit lautet, dass mir die Lorbeeren egalsind. Ich habe das Adrenalin und den hämmernden Puls der Jagd auf Raubtiere gespürt, und ich bin so süchtig danach wie nach dem Wodka, den ich in diesem Augenblick so dringend gebrauchen könnte.
Aus diesem einen Grund habe ich unsere Beziehung weit über den Punkt hinaus laufen lassen, an dem ich Beziehungen normalerweise sabotiere. Weit genug, um eine meiner schmerzhaftesten Erfahrungen zu vergessen. Ein Ehemann verlässt seine Frau nicht. Jedenfalls nicht die Sorte von Ehemännern, die ich mir aussuche. Nur ist es diesmal anders. Sean hat sich wirklich alle Mühe gegeben, mich zu überzeugen, dass er es tun wird. Und ich bin dicht davor, ihm zu glauben. Dicht genug, um mich in den einsamsten, verwundbarsten Stunden der Nacht dabei zu ertappen, wie ich es mir verzweifelt wünsche. Doch jetzt … die Situation hat sich geändert. Das Schicksal hat eingegriffen. Und wenn Sean mich nicht sehr überrascht, ist unsere Beziehung zu Ende.
Ohne Vorwarnung überschwemmt mich eine Woge von Übelkeit. Ich versuche mir einzureden, dass es am Alkoholentzug liegt, doch tief in mir weiß ich es besser. Es ist
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