Bitte keine Rosen mehr
Aufmerksamkeit. Wenn es um die Sicherheit geht, muß man ein klein wenig paranoid sein.
In dem Augenblick, da Kramers Tochter den Hörer auflegte, hätte ich auf der Stelle zu meinem Wagen zurückkehren und losfahren sollen, um so rasch als möglich nach Hause und zu einem guten Essen zu kommen. Ich war damals in zweiter Ehe verheiratet. Meine Frau kochte wirklich ganz ausgezeichnet.
Falsche Gier, das war meine Schwierigkeit; Gier plus langsames und sehr schludriges Denken. In seinem Telegramm hatte Kramer gesagt, daß wichtiges Material abzuholen sei. Also hing ich herum, bis ich es abholen konnte; gerade so, als sei nichts geschehen; gerade so, als sei Kramer noch am Leben und wohlauf.
Das Wetter war scheußlich, ein scharfer Wind trieb Schauer von nassem Schnee vor sich her. Wenn ich mit einem meiner echten Pässe gereist wäre, hätte ich in einem erstklassigen Hotel absteigen können, wo man mich kannte und verwöhnte. Zum Glück reiste ich als Reinhardt Oberholzer. Ich sage ›zum Glück‹, denn wenn ich eine echte Identität benutzt hätte, wäre sowieso alles verloren gewesen. Es gibt gewisse Papierschnipselfährten, die weder verwischt noch aufgelesen werden können, weil die Meute, noch ehe man sich, den mit einer Spitze zum Aufspießen der Schnipsel versehenen Spazierstock in der Hand, auf den Weg gemacht hat, einen bereits draußen im Revier erwartet.
Dem Himmel sei also Dank für die Oberholzer-Pässe.
Ja, Sie haben richtig gelesen, Krom. Pässe, Mehrzahl. Wir benutzten fünf. Ich hatte einen. Die vier männlichen Kuriere hatten jeder einen, den sie benutzten, wenn sie als Pappkameraden auftraten.
Carlos unorthodoxes Denken würde jeden ausgebildeten Abwehrmann zur Verzweiflung getrieben haben. So hatte er beispielsweise den Namen Oberholzer ursprünglich ausgesucht, weil er weder besonders üblich noch besonders unüblich, sondern in den meisten deutschsprachigen Gegenden von mittlerer Häufigkeit war. In einer angelsächsischen Stadt beziehungsweise Gemeinde hätte das ungefähr den Underwoods oder Overtons entsprochen. Soweit alles ganz orthodox. Aber was geschah, wenn die Tarnung durchlässig wurde und keinen sicheren Schutz mehr gewährte?
Nach orthodoxer Auffassung wurden sowohl der Name als auch dessen Träger umgehend aufgegeben. Carlo war anderer Meinung. Durch zu hastige Aufgabe eines Decknamens, von der Person, die ihn benutzt hatte, ganz zu schweigen, lieferte man möglicherweise die Bestätigung dessen, was bis dahin lediglich geargwöhnt worden war. Man konnte Argwohn sogar hervorrufen, wo zuvor, außer in der eigenen Einbildung, keiner existiert hatte. War es da nicht besser, den Gegner mit neuen Anlässen zum Zweifel zu beglücken, mit denen er sich auseinandersetzen mußte, indem man zu seiner Verwirrung einen zweiten Mann mit ins Spiel brachte, einen, der seinem Namensvetter in mancher Hinsicht stark, in anderer gar nicht ähnelte? Wenn Argwohn bestanden hatte, würde er jetzt nicht besänftigt sein? Falls er aber nicht gänzlich besänftigt worden war, müßten dann nicht die Gründe für ihn erneut ausgewertet werden?
Angesichts der Natur der Gegner, denen wir uns gegenübersahen, Gegner, die sich stets auf widerstrebende oder zweifelhafte Zeugen angewiesen sahen, welche von der Wahrheit so wenig verrieten, wie sie sich gerade noch trauten, konnte eine derartige Neubewertung nur zu einem Ergebnis führen. ›Zweifel demoralisiert‹ lautete eine von Carlos bevorzugten Maximen. Seine taktische Bezeichnung für das Multiplikationsmanöver im Oberholzer-Stil hieß ›Streuung‹ oder, wenn er zum Scherzen aufgelegt war, Verteidigung in der Breiten Ich habe einmal mehr als eine Stunde lang gegen einen guten Drei-Karten-Trick-Mann gespielt. Ich wußte genau, was er machte und wie er es machte, und dennoch schlug er mich in drei von fünf Spielen. Auf die gleiche Weise hatte das Oberholzer-Spiel funktioniert. Nur daß wir in fünf von fünf Spielen zu gewinnen pflegten, bis ich in einem verlor, welches es erforderlich machte, nicht nur den Namen des Spiels, sondern auch einige seiner Regeln zu ändern.
Zürich ist eine geschäftige Stadt, und wenn man kein Zimmer im voraus bestellt hat und auch kein bekannter und geschätzter Gast eines bestimmten Hauses ist, findet man in zentral gelegenen Hotels nicht immer ohne weiteres Unterkunft. Da ich nicht in einem der Hotels absteigen konnte, wo man mich kannte, ging ich ins Büro des Fremdenverkehrsvereins im Bahnhof.
Nun mag ich an
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