Bitte keine Rosen mehr
der Kapelle stand Kramers Sarg. Auf dem Sarg lag ein einzelner Kranz, aber der Fußboden um den Katafalk herum war von Kränzen und Blumen bedeckt. Ich konnte meine Rosen nicht sehen, nahm jedoch an, daß sie irgendwo dort lagen. Es ist schwierig, genaue Zahlen zu nennen, aber ich würde sagen, daß die Kapelle etwa hundert Sitzplätze bot und daß mehr als die Hälfte der Plätze besetzt war, überwiegend von Männern in Geschäftsanzügen. Gut besucht.
Die Predigt wurde von einem protestantischen Pfarrer gehalten und war kurz. Dann schlossen Schiebetüren sich langsam und verbargen den Katafalk, so daß die Entfernung des austauschbaren inneren Gehäuses, des Teils, in dem sich die Leiche befand, aus dem Sarg und in den funktionalen Bereich des Krematoriums von den Trauergästen unbemerkt vonstatten gehen konnte. Die Berieselungsmusik setzte wieder ein. Sie lief noch etwa zehn Minuten lang weiter. Als sie aufhörte, ging der Pfarrer zu Frieda Kramer, die in der ersten Reihe saß, und sagte etwas zu ihr. Kurz darauf erhob sie sich und begann, gestützt auf den Arm eines Mannes, der vermutlich ihr Schwiegersohn war, langsam den Mittelgang der Kapelle hinunter zum Ausgang zu gehen. Die Trauerfeier war vorüber.
Die anderen schickten sich an zu folgen. Auch ich reihte mich in den Trauerzug ein. Ein Mann in meiner Nähe erklärte seinem Begleiter, daß man eine Urne mit der darin befindlichen Asche ein paar Tage nach der Trauerfeier abzuholen pflege.
Draußen stand Frieda an einer offenen Fondtür der Cadillac-Limousine, während der Reihe nach alle, die Männer in den Geschäftsanzügen und die Frauen mit besonders scheußlichen Hüten, an sie herantraten und ihr Beileid aussprachen.
Ich stellte mich in die Reihe der Kondolierenden, nicht weil das etwa meinem Wunsch entsprochen hätte, sondern weil sie mich gesehen hatte. Da es etwas gab, was ich von ihr wollte, schien es keinen Sinn zu haben, sie zu verletzen, indem ich sie in ihrer Wohnung aufsuchte, ohne zuvor wie alle anderen in der Öffentlichkeit ein Wort der Anteilnahme geäußert zu haben. So bewegte ich mich denn, den Hut in der Hand, schrittweise voran.
Während ich dies tat, sagte Frieda aus dem Mundwinkel heraus etwas zu ihrer Tochter, die sogleich in das Innere des Wagens langte und irgend etwas vom Rücksitz nahm. Was es war, konnte ich nicht sehen, weil zwischen mir und dem Cadillac noch immer Leute standen. Abermals rückten die Beileidsbekundenden ein Stück voran.
Ich hörte, wie eine Frau Frieda irgend etwas von einem ›tiefempfundenen Gefühl des Verlustes‹ zuraunte, das jeder teile, der ihren lieben Johann gekannt habe, und legte mir hastig ein ähnliches Sprüchlein zurecht.
Schließlich trat der unmittelbar vor mir befindliche Mann zur Seite, und jetzt war ich an der Reihe.
Bis dahin hatte Frieda steif, mit angewinkelten Ellenbogen und knapp unterhalb des Busens von beiden Händen umklammerter Handtasche, dagestanden, als fürchte sie, jemand könnte sie ihr entreißen. Sie hatte den schwarzen Schleier zurückgeschlagen und das Doppelkinn in Erwartung des Ansturms hochgehalten. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, ob sie wohl schon wußte, wie reich sie war. An der Art, wie sie den Kondolierenden gedankt hatte, war abzulesen gewesen, wer zu den Freunden oder zur Familie gehörte und wer zu den Bekannten, deren Gesichter sie nur mit Mühe unterzubringen vermochte. Von den ersteren ließ sie sich umarmen, den letzteren nickte sie förmlich zu, übersah die ihr dargebotenen Hände und sagte nur:
»Danke, vielen Dank!« Aber bis dahin hatte sie die ganze Zeit über die Handtasche gegen ihren Solarplexus gepreßt.
Ich war es, der den Bann brach. Daß ich sie umarmte, kam nicht in Betracht, und so tat ich, was die anderen Bekannten getan hatten, und gab ihr Gelegenheit, meine ausgestreckte Hand zu ignorieren.
Das heißt, ich schickte mich an, die Hand auszustrecken. Sie war schon auf halbem Weg zu ihr und das einleitende ›Meine liebe Freundin‹ schon auf meinen Lippen, als ihre Handtasche vorwärts und aufwärts schoß und meine Fingerknöchel streifte.
Sie hatte nicht etwa versucht, mich tatsächlich zu treffen. Sie hatte ihre Handtasche lediglich benutzt, um damit auf mich zu weisen, so daß keiner der Zuschauer im Zweifel darüber blieb, auf wen sie wies. Sie wies noch immer auf mich, als sie sprach.
»Dies«, sagte sie laut und deutlich zu den Anwesenden, »ist Reinhardt Oberholzer.«
Dann geschah vieles gleichzeitig.
Ein
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