Bitte keine Rosen mehr
Verbindung stand, den Wagen, in dem ich saß, den Wagen mit einem Fahrer, der sowohl reden als auch aufschneiden würde. Als nächstes mußte ich, so rasch und so unauffällig wie möglich, aus dem Kanton Zürich verschwinden und dann aus der Schweiz.
»Wir fahren direkt zum Flughafen«, sagte ich.
»Sofort, mein Herr.«
Dann erst öffnete ich die Aktenmappe.
Ich hatte recht gehabt mit meiner Vermutung, daß keine Papiere darin seien, aber sie war nicht leer. Darin befanden sich zwei dieser sogenannten Klarsichthüllen, die viele europäische Geschäftsleute benutzen, um lose Papiere und Korrespondenzen geringeren Umfangs ohne viele Büroklammern säuberlich zusammenzuhalten. Daß Kramer sie verwendete, wußte ich, weil er mir bei einem der seltenen Anlässe, bei denen wir – nach unserer ersten Begegnung – außerhalb der Schweiz zusammentrafen, gezeigt hatte, wie er die diversen Konvolute von Kopien der Dokumente, von denen er meinte, ich solle sie sehen, zu verwahren pflegte, nachdem er die Originale wieder an ihren Platz zurückgelegt hatte.
Der Umfang relevanter Papiere – Kontoaufstellungen, Kauf- und Verkauforders in bezug auf Anlagen, jährliche Kontoabrechnungen – war stets gering gewesen, und diejenigen, die sich auf Personen oder Firmen bezogen, für die wir uns irgendwann interessiert hatten, konnte er in einem einzigen Attachéköfferchen unterbringen. Es war mit einer dieser ziehharmonikaartigen technischen Neuerungen ausgestattet, die es zu einer Miniaturregistratur machte. In jeder der Unterteilungen steckte eine dieser Klarsichtmappen. Am äußeren Rand der Mappen war jeweils ein Dimo-Erkennungsschildchen aufgeklebt, auf dem der ihm von Kramer zugewiesene Deckname des betreffenden Kontoinhabers aufgedruckt war.
Er hatte für ›heikle Konten‹ stets blaue statt der üblichen schwarzen Aufkleber benutzt. Heikle Konten waren diejenigen, welche solchen Bankkunden gehörten, die als ›unberechenbar‹ – lies: leicht geistesgestört nach normalen Maßstäben – eingestuft waren und die nur kraft des Umfangs ihrer Vermögen und des Gewichts ihrer stimmberechtigten Aktien Klienten blieben.
Beide leeren Klarsichthüllen in der Aktenmappe, die seine Tochter mir gegeben hatte, trugen noch ihre Aufkleber mit den Codenamen darauf, und beide Aufkleber waren blau. Der eine lautete Kleister und der andere Torten. Kramer hatte eine Haßliebe für Konditoreiwaren – er litt zeitlebens an Übergewicht –, und seine Wahl blauer Namen war ausnahmslos unter dem Gesichtspunkt getroffen worden, ihm als Mahnung zu dienen, daß diese Dinge schlecht für ihn waren. Ich kannte Kleister und Torten nur zu genau. Der erstere war ein spanischer Großgrundbesitzer, der letztere der Gründer und Aufsichtsratsvorsitzende einer amerikanischen Haustierfutter-Herstellerfirma mit europäischen Zweigniederlassungen. Sie hatten zweierlei gemeinsam: Beide waren entsetzlich reich, und beide litten sie an jener Art wahnhafter Besessenheit, die, wenn sie ganze Familien ergreift, vendetta oder Blutrache genannt wird, die aber in ihrem Fall am besten als akuter personalisierter Revanchismus bezeichnet werden dürfte. Oder, um es einfacher auszudrücken, reiner blutgieriger Haß auf eine spezielle Gruppe ihrer Gläubiger.
Von Kramers Klienten machten uns diese beiden die größten Schwierigkeiten, und schließlich wollte Carlo Torten strafen. Bei dem Spanier, Kleister, hatte die Androhung von Strafe genügt, weil er angreifbarer war. Der bloße Besitz eines ausländischen Bankkontos stellte unter dem Franco-Regime ein schweres Vergehen dar. Torten hatte beschlossen, sich auf den Kampf mit den Steuerbehörden einzulassen, aber Kleister hatte unsere Honorare gezahlt. Andererseits hatte Kleister auch einen teuren internationalen Ermittlungsagenten engagiert, um seine ›Verfolger‹ zu identifizieren. Durch einen jener unglücklichen Zufälle, gegen die nicht einmal ein Carlo Lech gefeit war, hatte der Detektiv entdeckt – nicht weil er etwa superschlau gewesen wäre, sondern weil Torten, wenn er betrunken war, unglaublich schwatzhaft sein konnte –, daß unsere Honorare nach dem gleichen Zahlungsmodus beglichen werden sollten, wie ihn auch sein Klient Kleister beschrieben hatte.
So also brachte er die beiden Männer zusammen.
Kleister ging nach Amerika – zu den Auflagen für Tortens Haftverschonung bis zu seiner letzten Berufung gehörte auch die Einziehung seines Reisepasses –, und man schloß sich zusammen.
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