Bitte keine Rosen mehr
stumpfer Gegenstand traf mich ziemlich hart an der rechten Schulter. Es war die Kante einer von der Tochter geschwungenen Aktenmappe, die sie offenbar vom Rücksitz des Wagens genommen hatte.
»Da sind Ihre Papiere, Herr Oberholzer«, fuhr sie mich an und ließ die Aktenmappe los.
Als ich sie auffing, hörte ich in der plötzlich eintretenden Stille das Klicken eines Spiegelreflex-Kameraverschlusses. Fast im gleichen Augenblick verschoß ein zweiter Fotograf ein elektronisches Blitzlicht. Beide rückten mir sogleich näher auf den Leib, um weitere Aufnahmen zu machen.
Krom sagt, er habe ihn nicht gesehen, obschon er unmittelbar hinter dem Fotografen mit dem Blitzlichtgerät gestanden habe. Ich sage nicht, er sei nicht dagewesen, nur, daß ich ihn nicht gesehen habe; und die Tatsache, daß ich ihn nicht gesehen habe, wundert mich nicht im geringsten.
Er sagt, ich hätte entgeistert dreingeblickt. Ich war entgeistert. Ich habe ein Gehirn, das durchaus fähig ist, ziemlich rasch zu funktionieren, um nicht allzu schwierige Gleichungen zu lösen, und als ich die Aktenmappe auffing, wurde mir sofort klar, daß ich in einiger Gefahr und – um es direkt, wenn auch lieber nicht vulgär auszudrücken – bis zum Hals in der Scheiße saß.
Nach dem kurzen entsetzten Schweigen von allen Seiten, mit Ausnahme der Fotografen, die fortfuhren, Aufnahmen zu schießen, entschied ich, daß es an der Zeit sei zu gehen. So schob ich mir also die Aktenmappe unter den Arm, machte, mit einer knappen Verbeugung vor Frieda, auf dem Absatz kehrt und ging zu meinem Mietwagen hinüber.
Der Fahrer hatte weder gehört noch begriffen, was geschehen war, aber er hatte die Fotografen in Aktion treten sehen. Für ihn bedeutete das nur eines. Er grinste, als er mir die Wagentür öffnete.
»Ich sehe, daß der Herr eine bedeutende Persönlichkeit ist«, sagte er.
»Ja.«
Alles, was ich sah, war ein etwa dreißig Meter weiter weg geparkter Polizeiwagen mit einem Beamten in Zivil, der sich durch das geöffnete Fenster beugte, um den Sprechfunk zu benutzen. Sein Blick war auf den Wagen gerichtet, in dem ich mich befand, und offenkundig gab er dessen polizeiliche Kennzeichen an seine Zentrale weiter. Ich habe nie in einer Reihe Verdächtiger Aufstellung nehmen müssen, um bei polizeilichen Gegenüberstellungen von Zeugen als Übeltäter herausgepickt zu werden, aber bei dieser Gelegenheit erfuhr ich am eigenen Leib, wie jemandem in dieser Situation zumute sein muß.
»Fahren Sie schon los«, sagte ich.
»Nach Hottingen?«
»Nein. Das erübrigt sich jetzt. Fahren Sie nur los, aber langsam zunächst.«
Er fuhr die lange Auffahrt zum Krematorium ohnehin langsam hinunter, aber ich brauchte dennoch etwas mehr Zeit zum Nachdenken.
Ich war von Kramers Frau bloßgestellt und öffentlich als Oberholzer identifiziert worden. Ich war als einziger Trauergast fotografiert worden. Die Polizei hatte ihre Hand mit im Spiel. Mir war eine Aktenmappe gegeben worden. Sie war neu und häßlich, aus einem billigen Schreibwarengeschäft, und ich glaubte nicht, daß sie Papiere oder sonst irgend etwas enthielt. Es mußte Gründe geben, warum sie ausgerechnet mir überreicht worden war, aber jeder Versuch zu einer Analyse der Art der Gründe würde Fragen aufwerfen, die ich in jenem Augenblick unmöglich beantworten konnte. Ich hatte schon genügend Fragen, mit denen ich fertig werden mußte. Die Aktenmappe konnte warten. Der vordringlichste Faktor war, welche Rolle die Polizei bei alldem spielte. Inwiefern hatte ich gegen die schweizerische Strafrechtsordnung verstoßen?
Nun, man konnte von mir behaupten, ich hätte einen schweizerischen Bankangestellten dazu verführt, das Bankgeheimnis zu brechen. Das war ein Vergehen. Aber wo war der Zeuge, auf dessen Aussage die Anklage sich berufen konnte? Kramer war tot. Frieda? Sie arbeitete offensichtlich mit der Polizei zusammen, aber warum? Und was wären ihre Beweise gegen mich vor Gericht wert? Ich würde ganz einfach behaupten, Kramer sei an mich herangetreten. Welche Lügen er später seiner Frau aufgetischt haben mochte, brauchte mich nicht zu kümmern. Andererseits hatte die schweizerische Polizei eine gewisse Vorliebe dafür, einen ausländischen Verdächtigen ins Gefängnis zu stecken und ihn, während die Gerichtsbehörden sich über die möglichen Anklagepunkte gegen ihn schlüssig wurden, ein paar Monate lang darin zu belassen.
Das Vordringlichste war daher, den Wagen loszuwerden, mit dem mein Name in
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