Bitte nicht füttern: Roman (Piper Taschenbuch) (German Edition)
Begegnung mit Linda hatte etwas von einem Sprung aus einem Flugzeug gehabt, bei dem er nicht wusste, ob sein Fallschirm sich öffnen würde. Aber er hatte das Gefühl des freien Falls, das Kitzeln im Bauch, das Herzklopfen und das Aussetzen der Atmung in vollen Zügen genossen.
Er wusste, auch ohne dass sie ein Wort dazu gesagt hatte, dass heute Abend der Abschied bevorstand, vor dem er sich so fürchtete. Die Landung, die ihm die letzte Luft aus den Lungen pressen, ihm jeden Knochen brechen und sämtliche Organe zerquetschen würde ... auch sein Herz. Insbesondere sein Herz. Aber wenn dieser Abschied am Anfang von etwas stand und nicht am Ende, und wenn er so ausfiel, wie er ihn sich vorstellte, dann würde er die Bruchlandung überleben und die Schmerzen ertragen.
Er fragte sich, wie es möglich war, jemanden nur so kurze Zeit zu kennen und sich doch ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen zu können.
Dann sah er, dass Linda nicht wie erwartet das Cockleshell ansteuerte, sondern das Trevail. Verwundert sah er auf die Uhr.
Halb acht. Sie war früh dran.
Er war noch nicht ganz fertig mit den Vorbereitungen.
Ihr heiß geliebtes Bœuf bourguignon brauchte noch eine halbe Stunde. Er wollte noch die Kerzen anzünden, den Wein entkorken, die Schachtel mit der SIM-Karte auf ihren Teller und den Ring seiner Mutter in ihr Weinglas legen.
Er lief ihr entgegen, um sie mit irgendeiner an den Haaren herbeigezogenen Bitte zum Cockleshell zu schicken. Wenn sie wiederkäme, wäre er dann mit allem fertig.
Alles wäre perfekt.
Er bemühte sich zwar um eine völlig neutrale Miene, ein Pokerface, musste aber doch lächeln, als sie sich näherte. Sekunden später jedoch erstarb das Lächeln, als er ihr unendlich gequältes Gesicht sah und im selben Augenblick wusste, dass irgendetwas Gravierendes passiert sein musste, das seine schöne neue Welt zum Einstürzen bringen konnte.
»Linda! Was ist denn? Was ist passiert?«
Die Frage löste einen ungeahnten Wortschwall aus.
Allerdings bemerkte Linda in der Aufregung minutenlang nicht, dass sie Rory in Lichtgeschwindigkeits-Spanisch zutextete. Rory benötigte keine Spanischkenntnisse, um zu verstehen, dass sie außer sich war vor Wut. Doch als sie schließlich Englisch weitersprach, traute er seinen Ohren kaum.
Es war das erste Mal, dass sie laut wurden, was aber in erster Linie an ihrer beider Bestürzung angesichts dessen lag, was sie gehört hatten. Ständig fielen sie einander ins Wort.
Als die Neugierde der schaulustigen Passanten das normale Maß überstieg, fasste er Linda sanft, aber bestimmt am Oberarm und zog sie mit sich in den Eingangsbereich des Trevail.
»Bitte, Linda ... Das ist doch absurd. Glaubst du wirklich, wir würden Sydney gegen den Willen seiner Mutter von ihr fernhalten?«
»Sie hat es mir so erzählt!«
»Und du glaubst ihr?«
»Warum sollte sie mich anlügen?«
»Warum sollten wir dich anlügen?«
Da schwiegen sie beide.
Die einzigen Geräusche waren Lindas schnelle, gestresste Atmung und die der Menschen draußen auf dem Kai.
Dann sah Linda entschlossen zu ihm auf.
»Okay, dann beantworte mir nur eine einzige Frage. Aber wahrheitsgemäß.«
Er nickte.
»Du kannst mich alles fragen. Ich verspreche dir, dich nicht anzulügen.«
»Hast du meiner Cousine einen Scheck über zwanzigtausend Pfund gegeben, damit ihr Sohn bei deinem Vater bleiben kann? Ja oder nein?«
Er sah sie lange an.
Sein anfängliches Schweigen war ihr schon Antwort genug.
»Ja«, seufzte er, »aber ...«
Doch sie ließ ihn nicht weiterreden, sie riss die Hände über den Kopf und wich mehrere Schritte von ihm. Die Enttäuschung, die ihr ins Gesicht geschrieben stand, kannte keine Grenzen.
»Ich fasse es einfach nicht, dass du zu so etwas in der Lage bist!«
»Es ist nicht so, wie du denkst ...«
»Du kaufst Eli ihr Kind ab! Was soll es dazu noch zu sagen geben? Das lässt sich mit nichts entschuldigen!«
»Er ist glücklich hier bei uns, Linda, das hast du selbst gesehen. Ich habe dir doch gesagt, dass seine Mutter ihn nicht will ... Sie war es, die ...«
»Sie will ihn nicht? Da irrst du dich aber ganz gewaltig! Es bricht ihr das Herz, dass sie ihn nicht sehen kann. Und ich bin fassungslos, dass du versuchst, ihre Verletzlichkeit so schamlos auszunutzen!«
»Verletzlichkeit? Consuela? Sag mal, reden wir hier von derselben Frau? Wie gut kennst du deine Cousine eigentlich, Linda?«
Rorys sonst so freundliches Gesicht verhärtete sich, sein Mund verzog sich auf
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