Bitte nicht füttern: Roman (Piper Taschenbuch) (German Edition)
Natürlich waren sie sich in den letzten vier Wochen hier und da begegnet, schließlich machte Linda nach jedem ESDS-Dreh im Trevail die Abnahme: Sie überprüfte, ob die Küche wieder tipptopp sauber war, und stellte sicher, dass in den vielen Designerhandtaschen (Damen und Herren!) keine »geliehenen« Weinflaschen aneinanderklirrten ...
Die anderen Kandidaten mochten die humorvolle, effiziente junge Frau, die ihnen dabei half, das hinterlassene Chaos in Grenzen zu halten, und insbesondere Diana war sicher, eine Freundin fürs Leben gefunden zu haben.
Auch Annabelle war immer freundlich zu ihr gewesen, aber irgendwie hatte die Freundlichkeit aufgesetzt gewirkt. Linda hatte versucht, ihr unbefangen zu begegnen, aber ganz gleich, wie sehr sie sich bemühte, die Vergangeheit auszublenden, wurde ihr doch klar, dass Annabelles einstige Beziehung mit Rory und vor allem deren schmerzhaftes, bitteres Ende, ihre Meinung zu ihr stets einfärben würde. Aber das war nicht alles. Annabelles Lächeln wirkte einfach so oberflächlich, dass Linda befürchtete, es könne jederzeit einem finsteren Blick weichen.
Und wenn sie ganz ehrlich war, hätte es sie auch nicht überrascht, wenn sie sich eines Tages umdrehte und Annabelle ihr mit einem der tollen Sabatier-Messer drohte, mit denen sie so fleißig schnippeln übte.
Genau wie Diana waren auch ihr die sehnsüchtigen Blicke aufgefallen, mit denen Annabelle Rory bedachte. Sehnsüchtige Blicke und zärtliche Umarmungen waren aber zwei Paar Schuhe. Und obgleich Linda Annabelle nicht über den Weg traute, so zweifelte sie nicht an Rory, und das war schließlich das Wichtigste.
Auch heute bedachte Annabelle sie wieder mit ihrem künstlichen, oberflächlichen Lächeln.
Und auf einmal musste Linda an die diversen Vampirfilme denken, die sie in ihrem jungen Leben gesehen hatte. An Nosferatus Lächeln, kurz bevor er seine spitzen Zähne in den hübschen weißen Hals versenkt.
Zum ersten Mal waren sie und Annabelle alleine.
»Linda! Was für ein formidabler Zufall, dass ich dich treffe ...«
Und noch etwas wurmte Linda. Ihr Englisch war ja eigentlich extrem gut, aber Annabelle drückte sich immer so gewählt aus, dass Linda manchmal überlegen musste, was sie meinte. Linda hatte den Verdacht, Annabelle versuchte damit absichtlich, sie in Gesprächen abzuhängen und als die Doofe dastehen zu lassen.
»Ich wollte dich gerade suchen, aber das erübrigt sich ja jetzt. Ich wurde gebeten, dir das hier zu übergeben ...«
Annabelle reichte ihr einen Umschlag. Überrascht und auch ein wenig zögerlich nahm Linda ihn an.
»Von wem?« Niemand, der mit ESDS zu tun hatte, würde auch nur im Traum daran denken, »Miss Macey« für Botengänge einzuspannen.
»Ja, das war wirklich eine ganz seltsame Geschichte. Ich bin jemandem begegnet, den ich von früher kenne ... Und dann stellte sich heraus, dass wir eine gemeinsame Bekannte haben ... dich!« Demonstrativ sah sie auf die Uhr und tat, als überrasche es sie, wie spät es war. »Oh mein Gott, schon sechs! Ich würde mich ja so gerne noch eine Weile mit dir unterhalten, aber ich muss jetzt leider dringend los. Habe ja so exorbitant viel zu tun ... Ciao, Linda ...«
Und wie nur wenige Stunden zuvor Consuela, drehte auch sie sich völlig unvermittelt um und rauschte davon.
Linda sah ihr eine Weile nach, dann betrachtete sie den Umschlag in ihrer Hand.
Wenn da mal nicht eine Nachricht von Annabelle selbst drinlag: »Nur zu deiner Info: Wenn du so dumm bist, Quinn zu verlassen, dann sei versichert, dass ich, während du durch Europa strawanzt (typisches Annabelle-Wort), mein Bestes tun werde, um deinen Platz in Rorys Bett nicht nur warm zu halten, sondern überkochen zu lassen!«
Die handgeschriebene Nachricht stammte aber nicht von Annabelle.
»Bitte komm ins Quinn Castle. Consuela.«
Linda wusste nicht, ob sie erleichtert oder besorgt sein sollte und dachte in ihrer Verwirrung gar nicht weiter nach, sondern machte sich sofort auf den Weg an Montys Haus vorbei zu dem imposanten Hotel.
Hätte Linda sich einen kurzen Moment besonnen und sich gefragt, woher Annabelle und Consuela sich kannten, oder warum Consuela wohl wutschnaubend aus dem Cockleshell gestürzt kam, wäre sie vielleicht schon früher draufgekommen.
Aber sie eilte durch die tropischen Gärten zum Hotel, betrat es durch die hohen Türbögen und wurde sogleich von der wartenden Consuela in die Bar gewunken. »Linda! Danke, dass du gekommen bist!«, quietschte sie und
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