Bitte Zweimal Wolke 7
allein.« Ich setze mir den Rucksack auf.
»Wie du willst.« Anna zuckt mit den Schultern und wendet sich dem Ausgang aus.
Ich klemme mir das Zelt unter den Arm und zerre den Rollkoffer hinter mir her. In mir kocht und brodelt es.
Nach Hause
, hat Anna gesagt, ganz so, als sei das ihr Zuhause und nicht meins oder das von Papa. Und überhaupt, was fällt Papa ein, mir einfach diese Zicke zu schicken, statt selbst zum Bahnhof zu kommen. Dass Anna eine Zicke ist, sieht man ja wohl sofort. Ich kann nicht genau schätzen, wie altsie ist, aber auf jeden Fall ist sie viel jünger als Mama. Und schlanker, stelle ich fest, während ich mit meinem Gepäck hinter ihr herstolpere.
Ihre langen schlanken Beine stecken in verwaschenen Röhrenjeans, die Füße in schlichten flachen Sandalen. Zu den Jeans trägt sie ein übergroßes weißes Männerhemd, das sie lässig über der Hüfte geknotet hat. Bestimmt ein Hemd von Papa. Schwitzend wuchte ich meinen Rollkoffer über den Bordstein. Was für ein Auto sie wohl fährt? Ich lasse meinen Blick über den Parkplatz schweifen. Sicher hat sie so einen völlig überteuerten Flitzer, beschließe ich und stolpere fast in Anna hinein, als diese plötzlich stehen bleibt.
»Achtung!«, ruft sie und vor mir schwingt die Heckklappe eines nicht mehr ganz neuen VW-Busses auf. Für einen kurzen Moment bin ich überrascht. Ein Bus ist schon ziemlich cool. Mit Kim zusammen habe ich im letzten Sommer oft die Surfer bewundert, die immer mit ihren bunt angemalten Bussen zum Strand kamen.
Auch Annas Wagen ist angemalt. Ein stilisierter Kellner flitzt in grellem Pink auf einem Skateboard über die dunkelblaue Seitentür und balanciert dabei ein voll beladenes Tablett. Hinter sich her zieht er einen Schriftzug:
Annas Partyservice
.
Anna hat einen Partyservice? Fast muss ich grinsen. Damit dürfte feststehen, dass Anna besser kochen kann als meine Mutter. Schnell setze ich wieder eine ernste Miene auf und wuchte mein Gepäck in den Kofferraum. Anna öffnet mirdie Beifahrertür und ich klettere auf den Sitz. Verstohlen beobachte ich sie von der Seite, wie sie den Gang einlegt und dann ziemlich souverän rückwärts ausparkt. Ich lehne mich zurück, während Anna den Bus in den fließenden Verkehr einfädelt. Endlich Hamburg! Eigentlich müsste ich jetzt total aus dem Häuschen sein, aber die Tatsache, dass Papa mich versetzt hat und ich jetzt neben Anna sitze, dämpft meine Freude gewaltig.
»Hattest du eine gute Fahrt?« Anna wendet sich mir zu.
»Mmh«, grunze ich und schaue angestrengt aus dem Fenster. Hoffentlich quatscht sie mich jetzt nicht voll.
»Karo – ich darf doch Karo sagen, oder? Also ich weiß, das ist alles nicht so leicht für dich, aber du musst verstehen, dass es für mich auch nicht leicht ist und ich …«
Ich stöhne auf und Anna verstummt. Völlig falscher Text. Alles, bloß nicht diese Mitleidstour. Jedes Mal wenn ich diesen Satz in letzter Zeit gehört habe, hätte ich kotzen können.
Schätzchen, ich weiß, das ist nicht leicht für dich, aber schau mal, für mich ist es auch nicht leicht. Seit dein Vater uns verlassen hat
… Kotz!
Kleine, ich weiß, wie schlecht es dir jetzt geht, aber mir geht es auch schlecht, seit deine Mutter
… Würg!
Du hast eine schwere Zeit, Liebes, aber für mich ist es auch schwer. Wir schaffen das gemeinsam
…
Nein, nein, nein! Ich will dieses »Mir geht es genauso schlecht wie dir« nicht mehr hören.
»Sag mal, hat Jochen dir eigentlich irgendetwas von mir erzählt?«, will Anna jetzt wissen.
Jochen. Es ist lange her, dass ich den Vornamen meines Vaters gehört habe. Ich schüttele den Kopf.
»Aha, dachte ich es mir doch.« Anna gibt ein bisschen mehr Gas und hupt einen Wagen an, dessen Fahrer vor ihr im Schneckentempo nach einer Hausnummer sucht. »Das ist so typisch Mann«, ereifert sie sich und schlägt mit der Hand auf das Lenkrad.
Einen Moment lang bin ich mir nicht sicher, ob sie den Fahrer im Wagen vor uns oder meinen Vater meint.
»Wenn es kompliziert wird, ziehen sie sich einfach aus allem heraus und versuchen, das Problem durch Schweigen zu lösen.« Ich muss schmunzeln, ob ich es will oder nicht. Schnell beiße ich mir auf die Lippen. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Anna auch grinst. Fast könnte ich sie nett finden, wäre da nicht diese winzige, aber nicht zu verleugnende Tatsache, dass sie mir meinen Vater wegschnappen will.
Anna macht eine Vollbremsung und ich knalle fast mit dem Kopf an die Scheibe.
»Sorry«,
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