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Bitte Zweimal Wolke 7

Bitte Zweimal Wolke 7

Titel: Bitte Zweimal Wolke 7 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Wilke
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damit ebenfalls wieder Erinnerungen in mir hoch. Erinnerungen an die letzten Mahlzeiten bei uns zu Hause, bevor Papa endgültig ausgezogen ist. Da hing auch immer dieses unheilverkündende Schweigen in der Luft. Manchmal habe ich versucht, die Stille zu durchbrechen. Dann habe ich einfach drauflosgeplappert, habe von der Schule, von meinen Freundinnen erzählt. Ich habe wie ein Wasserfall geredet, weil ich diese Stille nicht ertragen konnte.
    Nach einer Weile habe ich allerdings gemerkt, dass meine Eltern mir sowieso nicht zuhörten. Die waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Sie saßen schweigend am Tisch, standen schweigend auf, gingen schweigend auseinander, begegneten sich schweigend im Flur, und einmal sah ich, wie sie in unserem recht engen Flur versuchten, schweigend aneinander vorbeizukommen, ohne sich zu berühren. Da begriff ich, dass es vorbei war.
    Und jetzt sitze ich hier in Hamburg am Tisch und wieder diese Stille. Aber ich denke nicht daran, den Alleinunterhalter zu geben. Diesmal nicht. »Ich geh dann mal.«
    »Vergiss nicht, dass Alexander um elf Uhr kommt.«
    Ah, mein Vater hat seine Sprache wiedergefunden. Ohne ein weiteres Wort verlasse ich die Küche.
    Punkt elf Uhr klingelt es an der Wohnungstür. Ich verdrehe die Augen. Alexander Behrens. Der Stiefsohn irgendeines Kollegen. Nicht nur, dass mein Vater mir tatsächlich in den Sommerferien einen Nachhilfelehrer aufs Auge drückt, er bestellt ihn auch noch an einem Sonntag zu uns.
    Dann könnt ihr schon mal einen Schlachtplan entwerfen
.
    Eigentlich hatte ich vor, heute auszuschlafen, dann mit Kim zu telefonieren und einen ganz anderen Schlachtplan zu entwerfen. Und jetzt habe ich diesen Alexander an der Backe. Ich beschließe, den Knaben so schnell wie möglich wieder loszuwerden, und öffne die Wohnungstür.
    »Ach du Sch…« Den Rest schlucke ich gerade noch rechtzeitig herunter.
    Vor mir steht Harry Potter. Ernsthaft. Also genau genommen steht vor mir ein Typ, der exakt so aussieht wie der Schauspieler Daniel Radcliff in
Harry Potter
.
    »Hallo, du bist bestimmt Karolin. Ich komme wegen der Nachhilfe.«
    »Ach. Ich dachte, du kommst wegen der schrumpfhörnigen Schnarchkackler.« Ich mache Harry Potter Platz und lasse ihn in die Wohnung.
    »Harry Potter, Band sieben. Ich komme aber eigentlich wegen deines Lateinbuchs. Du kannst übrigens Alex zu mir sagen.«
    »Alles klar, Harry – äh – Alex.« Ich starre ihm auf die Stirn. Keine blitzförmige Narbe. Nicht mal ein Kratzer.
    »Und jetzt?«, fragt Alex. »Gehen wir zu mir oder zu dir?«
    Meine Güte. Hat der Typ heute Morgen schon irgendwelche Kicherbohnen zu sich genommen? Der sieht nicht nur aus wie eine Schlaftablette, der ist auch eine. Ich nicke mit dem Kopf in Richtung meines Zimmers.
    Während sich Alex hinter mir in den Raum schiebt, fällt mein Blick auf das Aufklärungsbuch
200 Wahrheiten über dich und die Liebe
.
    Eigentlich hatte ich es mir damit auf dem Bett so richtig gemütlich machen wollen. Schnell werfe ich im Vorbeigehen ein Sweatshirt darüber und bugsiere Alex zu meinem Schreibtisch.
    Dabei stelle ich fest, dass er ein ganzes Stück größer ist als ich. Wie alt er wohl ist?, schießt es mir durch den Kopf. Ich durchforste mein Gedächtnis, kann mich aber nicht erinnern, dass mein Vater dazu irgendetwas gesagt hat.
    »Ist das dein Lateinbuch?« Alex greift nach dem einzigen Buch, das auf dem Schreibtisch liegt.
    »Tja, wenn es keine Rezepte für Zaubertränke enthält, wird das wohl mein Lateinbuch sein«, entgegne ich.
    Alex ignoriert meinen Kommentar und ist schon eifrig am Blättern.
    »Ablativus absolutus, Genitivus objectivus, Konjunktiv als Irrealis, Potentialis, Deliberativ, Prohibitiv. Habt ihr das alles schon gemacht?« Fragend sieht er mich an.
    Magische Geschöpfe hatten wir noch nicht, liegt mir als Antwort auf der Zunge, aber ich schlucke sie hinunter. Es ist mir ein bisschen peinlich zuzugeben, dass ich keine Ahnung habe, wovon der Knabe da redet.
    »Du hast keine Ahnung wovon ich rede, richtig?«
    Erstaunt stelle ich fest, dass Alex eine einzelne Augenbraue hochziehen kann. Wie Mr Spock. Faszinierend.
    »Bei welcher Lektion wart ihr zuletzt?«
    Wenigstens diese Frage ist leicht. »Wir sind mit dem Buch durch. Nach den Ferien wollen wir mit Caesar anfangen.«
    »Lektüre? Dafür fehlen dir aber offensichtlich so ziemlich alle Voraussetzungen.« Alex hält mir mein Lateinbuch unter die Nase. Ach. Was dachte der denn, wofür ihn mein Vater engagiert

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