Bitter Lemon - Thriller
der Senator Lounge der Lufthansa, einem seiner Reporter zu begegnen, so ließ er es sich nicht anmerken. Frank Koch ließ sich nie etwas anmerken. Das war einer seiner vielfältigen Wesenszüge, die in der Summe wettmachten, dass Frank Koch so gar nicht in die Schablone moderner Manager passte: zu klein, zu dick, zu unsportlich, zu ungehobelt, zu schlecht gekleidet. Heute trug er zu enge Jeans, verschrammte, ehemals weiße Joggingschuhe, ein zwar strahlend weißes, aber schlecht gebügeltes Hemd, ein ausgebeultes Sakko aus wein-rotem Samtstoff und dazu eine Krawatte, deren wildes Muster erst bei genauerem Hinsehen eine Herde kopulierender Zebras offenbarte. Frank Koch konnte es sich leisten, keinen Wert auf Konventionen zu legen. Vergangenen Monat hatte ihn eines dieser Fachmagazine zum deutschen Medienmanager des Jahres gewählt.
»Guten Morgen, Herr Koch.«
»Morgen«, antwortete er, ohne aufzusehen. »Augenblick noch. Bin gleich fertig.«
»Kein Problem, Herr Koch.«
Kein Problem. Wer Frank Koch Probleme bereitete, war schnell weg vom Fenster. Er las die Süddeutsche. Vor ihm, auf dem Couchtisch, lagen die bereits zerfledderten Exemplare der Bild und der Financial Times. Als hätte er sie ausgeweidet, wie ein Raubtier die Beute. Das waren die drei Zeitungen, die er jeden Morgen las, wusste Kristina, seit sie zum kleinen Kreis jener Mitarbeiter gehörte, denen gelegentlich eine Audienz in seinem Penthouse-Büro im Kölner Mediapark zuteil wurde. Viel mehr wusste sie nicht über ihn, außer den wenigen Dingen, die nun wirklich jeder in der Branche wusste: dass Frank Koch 42 Jahre alt, geschieden, kinderlos und Geschäftsführer von InfoEvent war, einer profitablen TV-Produktionsfirma, die vergangenes Jahr fast 1000 Programmstunden für deutschsprachige Fernsehsender geliefert hatte. Und dass eine Menge Leute seine Launen fürchteten. Politiker zum Beispiel. Und Kristina Gleisberg.
Koch runzelte die Stirn, schließlich schüttelte er belustigt den Kopf und kicherte in sich hinein. Die Sonnenbrille hüpfte fröhlich auf seinem Bauch herum. Kein Mensch trug noch Brillen an Schnüren um den Hals. Außer Frank Koch.
»Haben Sie das gelesen?«
Kristina Gleisberg hatte keine Ahnung, was er meinte. Frank Koch schien zum Glück auch keine Antwort zu erwarten, denn er war schon wieder mit der Zeitung beschäftigt. Er kratzte sich nachdenklich die Schläfe und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Der Dreitagebart sollte vermutlich die babyhaft weichen Gesichtszüge konturieren und das fehlende Kinn vertuschen. War der Mann also doch eitel?
Oder nur zu faul zum Rasieren?
Waren nicht alle Männer in Wahrheit furchtbar eitel, gleich, wie alt oder fett oder hässlich sie waren?
Was ging ihr da nur für ein Mist durch den Kopf? Ausgerechnet jetzt. Die nächsten fünf Minuten würden über ihre berufliche Zukunft entscheiden – und sie dachte über Bartstoppeln nach. Die klugen Sätze, die sie sich auf der kurzen Fahrt zum Flughafen sorgsam zurechtgelegt hatte, schienen mit einem Mal allesamt aus ihrem Gedächtnis gelöscht.
Koch klappte die Zeitung zu. Er knüllte sie mehr, als dass er sie faltete, und warf sie mit angewiderter Miene zu dem Papierberg auf dem Couchtisch. Dann stemmte er sich mit seinen kurzen, kräftigen Beinen im Sessel zurück und rückte ungeniert den Hosenbund zurecht.
»Diese Feingeister in München sind mächtig stolz auf ihre Medienseite. Balsam für Bessergebildete. Werfen uns vor, wir machten Unterschichtenfernsehen. Um die Massen einzulullen. So ein Quatsch. Wir sind doch keine Politiker. Wir sind auch keine Sozialpädagogen oder Weltverbesserer. Wir produzieren Fernsehen, um Geld zu machen. Ist das etwa neuerdings ein Verbrechen? Und deshalb produzieren wir, was die Leute mögen. Wir machen Wohlfühlfernsehen. Das ist unser Job. Die Menschen wollen sich abends ums elektronische Lagerfeuer scharen, sie wollen sich geborgen und behaglich fühlen, nach des Tages Müh’ ein paar Stunden die Seele baumeln zu lassen. Was soll denn daran so schlimm sein?«
Kristina suchte nach einer Antwort, die klug und charmant genug klang, um Frank Kochs Aufmerksamkeit für ein paar Sekunden zu fesseln. In den vier Jahren, die sie für ihn arbeitete, war seine Aufmerksamkeit vornehmlich von ihren Beinen und ihrem Arsch gefesselt worden. Doch da war heute der Couchtisch im Weg. Frank Koch war kein Grabscher, zum Glück. Nur ein schamloser Voyeur. Seit wenigen Monaten war seine Aufmerksamkeit sogar von ihrer
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