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Bitter Lemon - Thriller

Titel: Bitter Lemon - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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geschüttelt und auf Deutsch gesagt:
    »Ich bin Jens. Aus Hamburg.«
    Artur schätzte ihn auf Mitte dreißig. Kecman hatte sich Artur nicht vorgestellt und seither auch kein Wort mehr gesprochen. Jedenfalls nicht mit Artur. Gelegentlich sprach er mit Jens. Nicht viel. Aus den Wortfetzen reimte sich Artur zusammen, dass Jens von Beruf Immobilienmakler war.
    36 Meter über dem Wrack packten sie schweigend den Inhalt der Sporttaschen aus. Füßlinge, Flossen, Handschuhe, Masken, Bleigewichte, Messer, Lampen. Sie kontrollierten die Harpunen, zurrten ihre Tarier-Jackets fest, halfen sich gegenseitig beim Anlegen der Flaschen und Lungenautomaten, checkten Tiefenmesser, Finimeter und Uhren. Jens stieg aus und hinterließ ein paar Luftblasen, exakt über dem Bug der gesunkenen MS Goggi. Artur wusste, was er zu tun hatte. Er sah auf die Uhr, warf den Motor an, ließ ihn niedertourig laufen und steuerte gemächlich das Heck des Wracks an. Kecman und sein Buddy hatten vor, den Zackenbarsch in die Zange zu nehmen.
    Artur schaltete den Motor aus. Kecman machte sich fertig. Artur griff unter die Öldecke. Kecman war beschäftigt, kontrollierte ein letztes Mal die Harpune. Plötzlich hielt er inne.
    »Kennen wir uns?«
    Zum Kennenlernen hatte es eine einzige Gelegenheit gegeben. In der Tiefgarage. Aber da knieten bereits die SOK-Leute auf Arturs Rücken und pressten sein Gesicht auf den Beton.
    »Klar kennen wir uns, Kecman.«
    Artur klickte den Karabinerhaken in das Gestänge der Stahlflasche. Kecman wirbelte herum, erstaunlich gewandt trotz der Flossen an den Füßen, und hob die Harpune. Artur duckte sich unter dem Arm hinweg und rammte Kecman beide Fäuste gegen die Brust. Kecman stolperte rückwärts, über den Gummiwulst des Schlauchboots, und stürzte ins Meer. Artur schlug die Öldecke beiseite und wuchtete den Anker über Bord.
    »Für Zoran. Für Marie. Für Irina. Für …«
    Artur musste sich setzen.
    Sein Herz schlug bis zum Hals. Er sah auf die Uhr. Er suchte nach seinen Zigaretten und steckte sie wieder weg. Er sah sich um. Er war allein. Allein mit dem Boot und dem Meer.
    Der 60 Kilogramm schwere Anker würde Kecman rasend schnell nach unten ziehen. Viel zu schnell. Lebensgefährlich schnell. Kecman war ein erfahrener Taucher. Instructor-Zertifikat, mehr als 1600 Tauchgänge. Er würde augenblicklich begreifen, was ihm alles drohte. Zum Beispiel eine Stickstoff-Narkose: Störung der Beurteilungsfähigkeit, Verlust der Selbstkontrolle, Euphorie, Hysterie, Halluzinationen, Schläfrigkeit, Bewusstlosigkeit. Der Anker war ein Fahrstuhl in den Tod.
    Es war nicht gerade einfach, hinter dem eigenen Rücken zu arbeiten und dort einen Karabinerhaken zu lösen, wenn Panik und zittrige Finger die Feinmotorik einschränkten. Aber Kecman würde es schaffen, da war sich Artur ganz sicher, der abgebrühte Hund würde es schaffen, noch bevor er den Grund in 36 Metern Tiefe erreichen würde. Vielleicht in 25 Metern, vielleicht auch erst in 30 Metern Tiefe. Der Anker würde alleine in Richtung Grund sinken, für immer und ewig in den Eingeweiden des morschen Wracks verschwinden, samt Leine und Karabinerhaken.
    Aber die Panik und der Stress hatten bis dahin längst zu einer erheblich verstärkten Atemtätigkeit geführt, ein Reflex, der nicht über das Gehirn zu steuern war. Und Kecman würde in diesem Moment, kaum dass er den Karabinerhaken und den Anker losgeworden war, schlagfertig begreifen, dass eine drohende Stickstoff-Narkose nicht sein größtes Problem war. Im Gegenteil. Vielleicht würde er in diesem Augenblick bereits ahnen, dass seine Lunge nicht gewöhnliche Atemluft mit 21 Prozent Sauerstoff-Anteil aus der Flasche saugte, sondern mit jedem Atemzug 60 Prozent Sauerstoff in die Blutbahn pumpte. Denn als erfahrener Taucher würde er sofort begreifen, woher die plötzlichen Krämpfe in seinem Körper rührten: Sauerstoff reagierte unter großem Druck toxisch. Bei 60 Prozent waren 14 Meter Tiefe das medizinisch tolerierbare Maximum. Das Lebenselixier des Menschen verwandelte sich in noch größerer Tiefe, in dieser extrem hohen Konzentration, in pures Nervengift.
    Kecman würde all das wissen – aber nichts mehr dagegen unternehmen können. Seine Lippen würden zu zittern und zucken beginnen, sein Gaumen würde unweigerlich verkrampfen, er würde zwangsläufig das Mundstück verlieren, sein ganzer Körper würde von schweren epileptischen Anfällen geschüttelt, seine Lungen würden sich allmählich mit Salzwasser füllen,

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