Bitter Lemon - Thriller
Kopf, als erschiene ihm die Frage absurd. »Sie fragen mich: Warum? Ganz einfach: Der Kerl hatte keinen Respekt. Er war außerdem Serbe. Aber der entscheidende Grund war: Er hatte keinen Respekt. Es passierte im Duschraum. Sie waren zu viert, und er war ihr Anführer. Ich war allein. Ich musste mir Respekt verschaffen.«
Die junge Fragestellerin schwieg. Die Kameras blinkten. Und Jerkov sah erneut auf die Uhr.
»Wenn Sie jetzt keine Fragen mehr haben, meine Damen und Herren, hätte ich noch eine Kleinigkeit mitzuteilen. Hören Sie mir jetzt gut zu. Denn das könnte Ihre Zuschauer und Hörer und Leser wirklich interessieren. Ich, Zoran Jerkov, werde jetzt für eine Weile abtauchen. Weil jene, die mir zwölf Jahre meines Lebens geraubt haben, nun ihres Lebens nicht mehr froh werden sollen. Das verspreche ich. Vielleicht komme ich tagsüber vorbei, vielleicht nachts. Vielleicht morgen, vielleicht übermorgen, vielleicht auch erst in drei Wochen oder in drei Monaten. Nur eines ist gewiss: Meine Rache wird grausam sein.«
In diesem Augenblick jagte ein Motorrad auf die Menschentraube zu. Eine schwarz lackierte, geländegängige Enduro. Der Fahrer trug eine schwarze Ledermontur und einen schwarzen Vollvisierhelm. Als das große, schwere Motorrad exakt neben ihm stoppte, schwang sich Jerkov hinter den Fahrer und krallte sich in dessen Montur fest. Der Fahrer drehte den Gasgriff auf und ließ die Kupplung fliegen. Die Maschine heulte auf wie eine wütende Hornisse, das Hinterrad qualmte und hinterließ eine hässliche Spur verbrannten Gummis auf dem heißen Asphalt. Binnen Sekunden war das Motorrad aus dem Blickfeld der Kameras verschwunden.
Willi Heuser verschloss eigenhändig die frisch gefüllte Thermoskanne, nickte der deswegen beleidigten Kantinenfrau freundlich zu und fuhr mit dem Aufzug ins Untergeschoss. Warum sie ausgerechnet den abgelegenen, winzigen Konferenzraum im Keller benutzten, war ihm ein Rätsel. Willi Heuser verließ den Aufzug und zog sein Bein hinter sich her, während er sich auf den Weg durch den endlos langen, schwach beleuchteten Flur aus Sichtbeton machte. Seit der Schussverletzung war sein linkes Bein hinüber. Seit acht Jahren. Aber immerhin war es noch dran. Selbst das war damals gar nicht so selbstverständlich gewesen, hatte ihm der Oberarzt nach der vierstündigen Operation versichert. Seither schob er Innendienst. Mädchen für alles, sozusagen. Kaffeeholer vom Dienst. Früher war er gern Polizist gewesen. Jetzt nicht mehr. Nächstes Jahr würde er endlich pensioniert. In neun Monaten, um genau zu sein. Vor dem Durchgang zum Schießkino bog er nach rechts ab, strich sich im Gehen eine Fluse vom Revers der Uniformjacke und richtete mechanisch den Krawattenknoten.
Die dritte Tür von links. Er klopfte an.
Nichts.
Er klopfte ein zweites Mal.
Wieder nichts.
Willi Heuser spielte einen Augenblick mit dem Gedanken, die Kanne einfach vor die Tür zu stellen und zu gehen.
Dann entschied er sich anders.
Er drückte die Klinke nach unten und öffnete.
Drinnen knallte der Präsident den Hörer auf die Gabel.
»Er ist weg.«
Der Präsident saß am Kopf des ovalen Konferenztisches, der fast den gesamten Raum einnahm, obwohl er nur sechs Personen Platz bot, und blickte verlegen zu den drei Männern empor, die um ihn herum standen statt saßen. Einer von ihnen war etwa so alt wie der Präsident, also Mitte fünfzig, nur dicker, und trug eine rote Fliege zum cognacfarbenen Breitcordanzug. Der zweite war erheblich jünger als alle anderen im Raum, Anfang dreißig vielleicht, sportlich, drahtig, modisches Sakko, dazu Jeans, schwarzes Poloshirt und braune Schuhe. Der dritte war schätzungsweise Mitte sechzig, schlank, er trug das graue Haar millimeterkurz geschoren. Der Nadelstreifen-Dreiteiler saß perfekt.
Der Präsident trug seinen verknitterten Lieblingsanzug und dazu eine furchtbare Krawatte, giftgrün mit schwarzen Punkten. Die Luft roch verbraucht. Willi Heuser stellte die Kanne mitten auf der Tischplatte ab und sagte: »Kann ich sonst noch was für Sie tun?«
»Was soll das heißen?«
Willi Heuser blickte irritiert zu dem ältesten der drei fremden Männer und begriff erst mit Verzögerung, dass der gar nicht ihn, sondern den Polizeipräsidenten angesprochen hatte. Der Präsident zuckte hilflos mit den Schultern, bevor er antwortete:
»Jerkov ist verschwunden.«
»Wie bitte?«
»Er ist weg. Wir haben ihn verloren.«
»Falsch! Nicht wir, sondern Sie haben ihn verloren. Ihre Leute,
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