Bittere Mandeln
holte tief Luft. »Ich habe dich unter anderem deshalb in der Kayama-Schule eingeschrieben, weil man mit Hilfe von Ikebana oft … einen Ehemann findet.«
»Aber in den Kursen sind doch bloß Frauen!« Ich mußte lachen, obwohl mir der Bauch dabei wehtat.
»Nun, ich dachte, die Damen, die den Kurs besuchen, könnten dich ihren Söhnen oder Neffen vorstellen.«
»Wie kannst du mir eine arrangierte Ehe vorschlagen, wenn es bei dir und Onkel Hiroshi anders gelaufen ist?«
»Ja, ich habe Hiroshi tatsächlich ohne Hilfe Dritter kennengelernt, und wenn du genausoviel Glück hättest wie ich, wäre ich froh. Aber sieh dir doch einmal dein Leben an! Du warst eine Weile mit diesem netten schottischen Anwalt zusammen, aber dann hat er dich verlassen. Inzwischen bist du achtundzwanzig Jahre alt und immer noch allein. Du liegst krank im Bett, und nur ein Mann in Tokio schickt dir Blumen, aber die sind aus billigem Polyester. Künstliche Blumen, wenn ganz Japan in Blüte steht!«
Ich machte mir nicht die Mühe, ihr zu erklären, daß Richard sich sexuell nicht für mich interessierte. Vermutlich wußte sie das ohnehin schon, obwohl ich ihr nie explizit gesagt hatte, daß Richard schwul war. Also versuchte ich, von dem Thema abzulenken, indem ich sagte: »Erwachsen werden, bedeutet, daß man sich auf sich selbst verläßt, nicht auf Eltern oder Verwandte.«
»Dazu könnte ich dir was erzählen!« murmelte Tante Norie und wandte sich von mir ab, um in meiner Küche nach etwas zu suchen.
»Ach, bitte, mach das doch.« Ich zog das Knie an die Brust, weil das meine Magenkrämpfe ein wenig linderte. Mir fiel wieder ein, wie Takeo mich gebeten hatte, ihm Informationen über Tante Norie zu geben, doch ich würde nicht ihm, sondern ausschließlich mir zuliebe zuhören.
»Ich studierte das erste Jahr am Ocha-no-Mizu Women’s College und war ziemlich schüchtern und unsicher. Das College veranstaltete einen Tanzabend, und ich hatte keinen Freund, den ich mitnehmen konnte. Schließlich bat ich einen Bekannten aus meiner alten Schule, der inzwischen an der Keio-Universität studierte, mich zu begleiten. Zu der Zeit konnten sich dort noch keine Frauen einschreiben.«
Auch heute war es für Frauen ziemlich schwierig, von Top-Unis wie der Keio- oder der Tokio-Universität aufgenommen zu werden. Ich hatte selbst mit dem Gedanken gespielt, mich um ein Stipendium zu bewerben, war aber angesichts meiner mangelhaften kanji- Kenntnisse zu dem Schluß gelangt, daß ich mir nicht die Mühe zu machen brauchte.
»Mein Bekannter hat mich gebeten, ein Mädchen für seinen Freund Hiroshi Shimura zu finden, der aus einer alten Samurai-Familie stammte. Ich flehte ihn an, Hiroshi nicht mitzubringen, weil ich kaum Angehörige seiner Schicht kannte. Ich hatte Angst, daß ich mich in Wortwahl oder Etikette vergreifen würde. Wir sind zwar keine Nation von Herren und Knechten mehr, aber ich war einfach zu unsicher, um mit einem Samurai auszugehen.«
»Du warst aber doch eine der reichsten Erbinnen Yokohamas«, wandte ich ein. Als mein Vater mir das erzählt hatte, war ich sehr überrascht gewesen, denn Tante Norie kochte und putzte selbst und hatte keinerlei Allüren.
»Ja, aber wir gehörten nicht der Oberschicht an«, sagte Norie sofort, und ich spürte, daß sie das immer noch verletzte. »Mein Vater war lediglich Apotheker, und mit seinen Ersparnissen hat er billigen Grund im ausgebombten Zentrum von Yokohama erworben. In der Wiederaufbauphase hat er diese Parzellen zu einem höheren Preis verkaufen können. Die Shimura-Familie hingegen lebte schon seit fünf Generationen in einem großen Anwesen in West-Tokio. Auf ihrem Grund hätte man sechs Häuser mit Gärten unterbringen können!«
»Das hat mir Dad nie erzählt. Ich kannte nur die Wohnung, in der Großmutter mir verboten hat, die Möbel zu berühren«, sagte ich. Das war einer der Gründe für meinen Beschluß gewesen, es mit dem Antiquitätenhandel zu versuchen.
»Deine Großmutter mußte das Haus verkaufen und in eine Wohnung ziehen, um nach dem Tod deines Großvaters die hohe Erbschaftssteuer zahlen zu können. Das war ungefähr zu der Zeit, als Hiroshi an der Keio-Universität studierte und dein Vater bereits seine Assistenzzeit in den Staaten machte.« Der Wasserkocher piepste, und Norie goß ein wenig Wasser in eine Arita-Teekanne, um sie zu erwärmen. Dann schaltete sie den Kocher wieder ein und fuhr fort: »Hiroshi wollte so schnell wie möglich an der industriellen Zukunft Japans
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