Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bittere Mandeln

Bittere Mandeln

Titel: Bittere Mandeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sujata
Vom Netzwerk:
teilhaben, doch dein Großvater hatte von ihm erwartet, daß er eine wissenschaftliche Laufbahn einschlug.«
    Das überraschte mich nicht. Ich hatte meinen Großvater zwar nie kennengelernt, aber mein Vater hatte mir erzählt, daß er Professor für klassische Philologie an der Keio-Universität gewesen war. Nach dem Krieg war es meinem Großvater schwer gefallen, sich von der Vorstellung zu verabschieden, daß Japan die führende Kultur der Welt war. Er war gezwungen worden, in den Ruhestand zu gehen, und hatte bis zu seinem Tod an einem Manifest gearbeitet, das nie veröffentlicht wurde, sich aber in puncto rechtsgerichtetem Fanatismus vermutlich durchaus mit Yukio Mishimas Schriften messen konnte.
    »Und wie war Onkel Hiroshi, als du ihn kennengelernt hast?« fragte ich Tante Norie.
    »Also zurück zu der Tanzveranstaltung. Mein Freund hat darauf bestanden, Hiroshi mitzubringen, und ich habe meine Freundin Eriko, die du vom Ikebana-Kurs kennst, als seine Begleitung engagiert. Ihr hat Hiroshi nicht gefallen, weil er fünf Zentimeter kleiner als sie war. Also hat sie sich mit einem anderen verdrückt. Mir war ihr Betragen peinlich, und so bin ich die ganze Zeit bei Hiroshi geblieben und habe immerzu geredet, damit er mich nicht fragen konnte, was mit ihr war. Es stellte sich heraus, daß sich noch nie eine junge Frau so lange mit ihm unterhalten hatte. Dann hat er mich gebeten, am nächsten Tag einen Spaziergang mit ihm zu machen. Offenbar wollte er sehen, ob ich immer noch etwas zu sagen hatte.«
    »Dann hast du deinen Mann also fast an Eriko verloren?« fragte ich erstaunt. Was für ein Glück, daß Eriko so viel Wert auf Körpergröße gelegt hatte.
    »Nun, Eriko macht sich bis heute Vorwürfe, weil sie die falsche Entscheidung getroffen hat. Der große, attraktive Mann, den sie schließlich geheiratet hat, ist Alkoholiker geworden. Letztes Jahr hat ihm seine Firma gekündigt. Aber mach dir darüber keine Gedanken. Hier, bitte versuch doch mal den Tee.«
    »Ist das Fleischbrühe?« Ich hatte grünen Tee erwartet, doch dieses Gebräu war rötlich braun und merkwürdig würzig.
    »Nein, das ist Leberblümchentee. Der beruhigt den Magen«, sagte meine Tante.
    Die vollen Einkaufstüten auf meinem Küchentisch lieferten einen ziemlich sicheren Hinweis darauf, daß sie mir noch weitere Gesundheitskost präsentieren würde. Ich versuchte, den Gedanken an Rinderbrühe zu verdrängen, und nahm noch einen Schluck.
    »Und irgendwann haben Onkel Hiroshi und du dann beschlossen zu heiraten.«
    »Beschlossen ist nicht ganz der richtige Ausdruck. Wir haben unsere Eltern um Erlaubnis gebeten. Die meinen waren begeistert, haben diese Freude aber zu deutlich gezeigt. Mrs. Shimura und ihre Oberschichtfamilie haben gedacht, wir wollten uns durch die Heirat gesellschaftlich verbessern.« Tante Norie seufzte. »Die Sache wurde ziemlich unangenehm. Als Hiroshis Eltern nein sagten, war er sehr entmutigt und hat mir erklärt, er könne sich nicht gegen sie stellen. Meine Eltern kamen zu dem Schluß, daß es meinen Wert in den Augen der Shimuras erhöhen würde, wenn sie mehrere Heiratsanträge von anderen jungen Männern aus wohlhabenden Familien vorweisen könnten. Also haben sie sich mit einer professionellen Heiratsvermittlerin in Verbindung gesetzt, die vorschlug, ich solle Ikebana und Teezeremonie lernen, um kultivierter zu werden. Das hat dann alles so viel Zeit erfordert, daß ich gezwungen war, mit dem College aufzuhören. Und ich hatte Angst, daß meine Eltern in der Zwischenzeit einen anderen Mann für mich finden würden.«
    »Dann wolltest du also auch keine arrangierte Ehe. Genau wie ich hast du dir gewünscht, daß deine Verwandten sich nicht in deine Angelegenheiten einmischen …«
    »Nun, es war ein bißchen anders. Durch die klugen Pläne meiner Eltern wurde ich von vielen interessanten Männern zum Tee in die großen Hotels eingeladen.« Sie lächelte kokett. »Die Schülerinnen der Kayama-Schule hatten Brüder, und damals war Masanobu- sensei selbst noch ein junger, ausgesprochen attraktiver Lehrer. Ich bin durch gelegentliche Telefonate mit Hiroshi in Verbindung geblieben. Als er einmal anrief und meine Mutter ihn mit dem Namen eines meiner anderen Verehrer begrüßte, ist Hiroshi eifersüchtig geworden. Er hat mir gesagt, er wolle mich so schnell wie möglich heiraten, und seiner Mutter gedroht, meinen Familiennamen anzunehmen, falls sie mich nicht in die Shimura-Familie aufnehmen würde. Mrs. Shimura war der

Weitere Kostenlose Bücher